Die Nacht Der Jaegerin
auch, dass wir unsere Frau Pfarrer mal bitten sollten, nach ihm zu sehen. Und Sie wissen ja, wie es geht, man verschiebt alles, un das rächt sich dann. Und jetzt hat Jeremy ...»
Gomer nahm die Brille ab und rieb sich die Nase zwischen Daumen und Zeigefinger.
«Was hat er, Gomer?»
«Aufgehängt hatter sich, der Junge», sagte Gomer.
30 Die Nacht der Jägerin
«Womit soll ich anfangen, Mr. Foley?», fragte Leonard Parsonage.
Er war sehr alt und sehr mager. Die meisten richtig alten Leute waren mager, dachte Jane.
«Ich will nur noch den Ton richtig einstellen», erklang Bens Stimme, ohne dass er auf dem Bildschirm auftauchte. «Vielleicht erzählen Sie uns zunächst, was Sie gemacht haben, nachdem Sie aus Stanner weggegangen sind. Haben Sie seitdem immer in Kington gelebt?»
Der alte Herr erzählte, er sei nach Kent zurückgekehrt, von wo er stammte, habe dort geheiratet, dann aber, wiederum in Kington, einen Eisenwarenladen übernommen. Dann setzte das Bild aus, und als wieder etwas zu sehen war, sagte Ben gerade: «Erzählen Sie uns doch einmal, wie sie wirklich war. Wie war Hattie – Mrs. Davies?»
«Mrs.
Chancery.
» An Leonards senffarbene Krawatte war ein winziges Mikro geklipst worden. Es sah aus wie ein Hirschkäfer, der an der Krawatte hochkrabbelte. «Wir durften sie nicht Mrs. Davies nennen. Mrs. Chancery, so wollte sie genannt werden, oder Mrs. Hattie.» Er unterbrach sich und blickte direkt in die Kamera.
«Nein, Leonard, sehen Sie nicht in die Kamera. Sehen Sie
mich
an», sagte Ben.
Das war vermutlich ein hartes Stück Arbeit gewesen, dachte Jane. Aber Bens Fragen und Anweisungen konnten leicht herausgeschnitten und das Material problemlos mit anderen Bildern und Einblendungen von Hattie und Stanner gemischt werden. Das alles hatte Jane von Eirion gelernt.
«Also, es musste ‹Mrs. Chancery› sein», sagte Leonard, «weil Stanner das Anwesen der Chancerys war, verstehen Sie? Robert Davies war einfach nur der Hengst, mit dem die Stute gedeckt werden sollte, so redeten die Leute damals. Nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg hat man bei seinem Anblick allerdings nicht mehr an einen Zuchthengst denken können, hat Mrs. Betts gesagt – das war die Köchin. Mrs. Betts hat gesagt, dass Mr. Robert bei den Angestellten sehr beliebt war, aber in späteren Jahren hatten sie dann natürlich vor allem Mitleid mit ihm, wegen ... na ja, weil sie ihn schlecht behandelt hat.»
Ben hatte Leonard vor einem großen Fenster mit Ausblick auf den Marktplatz von Kington platziert.
«Und wie hat sie ausgesehen, Leonard? Was für eine Erscheinung war Hattie Chancery?»
«Sie war ... Oh, sie war die reinste Göttin für uns. Die Jagdgöttin Diana – irgendwer hat sie einmal so genannt. Die Jagdgöttin Diana, genau. Weil sie es
war
, verstehen Sie? In der Jagdsaison ist sie jeden Tag jagen gegangen, jedenfalls kam es einem so vor. Das war für eine Frau damals sehr ungewöhnlich. Verstehen Sie mich nicht falsch, sie war
sehr
weiblich. Sehr weiblich. Sogar
zu
weiblich, fanden manche.»
Leonard lächelte beinahe lasziv. Jane fiel sein schmaler, weißer Schnurrbart auf, der ihn ein bisschen dandyhaft wirken ließ. Und Jane fragte sich ...
«Und nun erzählen Sie uns doch bitte ein bisschen von der Jagd», sagte Ben. «Wie hat das angefangen?»
«Oh, der alte Walter hat sie dazu ermutigt. Das habe ich von den anderen gehört. Walter konnte nicht reiten und war zu alt, um es noch zu lernen, aber wenn man damals zu den besseren Kreisen gehören wollte, musste man reiten. Also hat er seine Tochter schon ganz früh in den Sattel gesetzt, und so ist sie auch zur Jagd gekommen. Wenn man geritten ist, ist man auch bei der Jagd mitgeritten – so ist es ja eigentlich heute noch. Aber was ich sagen wollte, war, dass die Jagd für Mrs. Hattie wichtiger war als das Reiten. Damals bestand die Jagdgesellschaft hauptsächlich aus recht jungen Leuten.»
«Das war vor dem Ersten Weltkrieg, oder?»
«Ja, das war es wohl. Sie war noch ein junges Mädchen, aber sehr groß, damals schon. Ja, die Jagd, die haben sie beinahe den ganzen Krieg über durchgeführt, obwohl ein paar der jungen Männer in den Kampf gezogen waren. Nach dem Krieg ist die Jagdgesellschaft dann wieder gewachsen. Die Chancerys haben die Jagd von Anfang an unterstützt – finanziell, meine ich –, und sie haben auch einen Unterstützerverein gegründet, um noch mehr Geld zu sammeln. Und Mrs. Hattie lebte nur für die
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