Die Nacht Der Jaegerin
hatte Bliss gesagt, als sie in dem Land Rover gesessen hatten. «Ein Rowdy. Ein hoffnungsloser Fall. Er hat sich besoffen und die Orientierung verloren. Dann ist er auf der Straße hingefallen. Bei solchen Typen wie ihm ist so was keine Seltenheit.»
«Aber es war genau dieselbe Stelle, an der sein Bruder gestorben ist.»
«Das Leben, Merrily, ist voller Zynismus.»
«Das war Selbstmord, oder? Er hat den Whiskey runtergekippt, dann hat er sich auf die Straße gelegt und darauf gewartet, dass ihn ein Laster an
genau derselben Stelle
überfährt, an der ...»
«Nachdem er anscheinend keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat, werden wir vielleicht nie genau wissen, warum es passiert ist. Allerdings ist er der Polizei seit Jahren bekannt, und wir gehen davon aus, dass er mit der Drogenszene von Hereford zu tun hatte. Deshalb hat sich die Schneekönigin die Sache ein bisschen genauer angesehen und sich dabei gefragt, ob
Sie
eventuell einen Grund kennen, aus dem Darrin zum Opfer einer vorsätzlichen Fahrerflucht geworden sein könnte – wenn man mal davon ausgeht, dass der Teppichlaster nicht der Erste war, der ihm die Eingeweide platt gefahren hat. Das ist das Blöde an Melvyn; wenn er lange Nachtdienste schieben muss, fängt er an, mit fremden Frauen zu reden.»
«Selbstmord schließt sie also aus?»
«Ich glaube nicht, dass sie auf Ihre Theorie gekommen ist. Vielleicht sollten Sie einmal mit ihr reden. Tut mir leid.»
Sie standen am Rand des stillgelegten Steinbruchs, und Merrily wandte ihren Blick zum Himmel. Darrin Hook war tot, und die Stelle, an der er gestorben war, stand in sehr enger Verbindung zu einem Todesfall siebzehn Jahre zuvor. Und Darrin könnte möglicherweise noch leben, wenn eine gewisse Pfarrerin, die es eigentlich nichts anging, nicht vorgeschlagen hätte, die Geschichte wieder auszugraben und für Roland Hook eine Seelenmesse abzuhalten. Und zwar – das musste man sich mal vorstellen –
als Heilungsversuch für das Asthma seines Cousins Dexter.
Heilung und spirituelle Grenzfragen: ein gruseliger, neo-mittelalterlicher Irrsinn, mit dem die Kirche von England ihren Untergang hinauszögern wollte. Merrily wurde beinahe schlecht vor Selbstekel.
Sie fragte sich, ob Alice es schon wusste.
«Nochmal ganz langsam», sagte Bliss gerade zu dem Pathologen.
«Ich behaupte nicht, dass es stimmt», sagte Dr. Grace. «Ich sage nur, dass man sich das nochmal genauer ansehen sollte. Sicher kann ich erst sein, wenn ich den Knaben bei mir auf dem Seziertisch habe.»
«Aber wahrscheinlich stimmt es.»
«Es ist
möglich.
» Grace sah zum Felsabhang der Stanner Rocks hinauf. «Es ist ein tiefer Sturz, aber die Kreidefelsen von Beachy Head sind es nicht gerade, oder? Außerdem ist er in ziemlich hohen Schnee gefallen. Und – ich glaube, ein paar von Ihren sportlicheren Kollegen haben oben auf dem Plateau eine Videoaufnahme gemacht – es gab noch andere Hinweise. Als ob unser Kandidat verzweifelt versucht hätte, sich auf seinem Weg hier herunter an Gebüsch und Felsvorsprüngen festzuhalten. Was seinen Fall erheblich verlangsamt hätte. Unterm Strich könnte man also sagen: Knochenbrüche sind bei so etwas wahrscheinlich, aber sterben muss man keineswegs. Es
könnte
natürlich sein, dass er unheimliches Pech hatte und mit der Rübe auf einem spitzen Stein aufgekommen ist. Davon kann man sich natürlich ein besseres Bild machen, wenn wir ihn weggebracht haben und die nähere Umgebung genauer abgesucht werden kann. Aber es könnte eben auch sehr gut
nicht
so gewesen sein. Erhebliche Gesichtsverletzungen, bei denen man sogar an Aasfresser denken könnte. Weiter will ich mich im Moment nicht aus dem Fenster hängen.»
«Und die Alternative hieße, dass ihm der Schädel eingeschlagen wurde, nachdem er da oben runtergefallen ist. Das sagen Sie doch eigentlich damit, oder?»
«Das sage ich
nicht.
Aber behalten Sie es trotzdem mal im Hinterkopf.»
«Oh, das werde ich, das werde ich ganz bestimmt.» Bliss drehte sich zu dem Land Rover um und winkte dem Pathologen zum Abschied zu. «Gute Nacht, Billy. Machen Sie’s gut.»
Merrily versuchte gerade, Alice Meek auf dem Handy zu erreichen, doch Alice meldete sich nicht.
Es wirkte wie eine Art Bußgang. Jeavons schien zu denken, dass er, nachdem er Merrily in der Harris/Hook-Sache einen übereilten und schlechten Rat gegeben hatte, etwas gutmachen musste.
Er hatte seine Bibliothek durchforstet und im Internet recherchiert, als ob er dafür
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