Die Nacht Der Jaegerin
sie auf so vielen verschiedenen Schulen gewesen war.
Und warum sie voll Entsetzen aufgesprungen war, als Nat mit blutverschmierten Armen die Küchentreppe heruntergekommen war.
Nachdem sie die große Enthüllung hinter sich gebracht hatte, begann Beth Pollen von sich und Natalie zu erzählen.
In der trostlosen Zeit nach dem Tod ihres Mannes hatte Beth seine letzte Forschungsarbeit weitergeführt, bei dem es um die Geschichte eines viktorianischen Herrenhauses an der englisch-walisischen Grenze gegangen war. Sie hatte vorgehabt, daraus zu seinem Andenken eine kleine Publikation mit seinem Namen auf dem Titelblatt zu machen. Manchmal hatte sie ihren Mann beim Schreiben neben sich gespürt, wie er ein besseres Wort vorschlug oder sie tadelte, weil sie eine pittoreske, aber nicht belegte Anekdote einfügen wollte.
Auch wenn der Text von ihrem wachsenden Interesse am Spiritismus beeinflusst wurde, hatte das Gefühl, dass Stephen bei ihr war, Beth dazu gebracht, bei ihren Recherchen noch sorgfältiger vorzugehen. Und auf diese Weise hatte sie Natalie Craven kennengelernt, die ebenfalls sehr an der Geschichte von Stanner Hall interessiert war.
«Vermutlich habe ich eine Freundin gebraucht. Nein, das stimmt nicht ganz ... Ich habe vermutlich
eine andere Art
Freundin gebraucht. Sie hätte beinahe meine Tochter sein können, aber das beschreibt unsere Beziehung auch nicht richtig. Sie hatte ein sehr hochentwickeltes Bewusstsein dafür, wie die Dinge laufen – wie man zum Beispiel eine Situation umdrehen kann. Ich glaube, das lag an ihren jahrelangen Erfahrungen im Gefängnis, aber das wusste ich damals natürlich nicht. Sie hat mich einfach bestätigt und ermutigt, sie hat mir meine Energie zurückgegeben.»
«Sie kann wirklich Dinge bewirken», sagte Jane. «Ich schätze, das liegt daran, dass es ihr im Grunde egal ist, ob sie stattfinden oder nicht.»
«Und ich war von ihrer Beziehung mit Jeremy Berrows fasziniert. An diesem Mann ist
absolut nichts
dran – jedenfalls denkt man das auf den ersten Blick. Dass er eine tiefe, natürliche Spiritualität lebt, bekam ich erst später mit – die Art Spiritualität, die man von Bauern erwarten kann, deren Familien über Generationen in engem Kontakt mit dem Land gelebt haben. Das findet man nur noch selten heutzutage. Ja, ich war sehr neugierig, was Jeremy angeht, und ich wollte wissen, wie sie zusammengekommen sind.»
«Vor allem, nachdem sie so viele Jahre getrennt waren», sagte Jane.
«Nun ja, die ersten zehn Jahre davon konnte sie nichts daran ändern. Und dann, als ihr irgendwann aufging, dass sie niemals mehr imstande gewesen war, eine so tiefe Verbindung mit jemandem einzugehen, wie mit dem Bauernjungen, den sie mit
zwölf
Jahren gekannt hatte – dass sie womöglich so etwas wie die
zwei Hälften
eines Ganzen waren –, was sollte sie da machen? Man glaubt doch nicht daran, dass so alte Erinnerungen der Realität standhalten, oder? Sie sind wie ein Märchen.»
Zwei Hälften
... Jane stellte sich Jeremy Berrows auf seinem Weg in die Scheune vor, den Strick in der Hand. Sie sagte nichts.
Beth Pollen sagte: «Wir haben darüber gesprochen, nachdem sie mir ihre wahre ... ihre frühere Identität enthüllt hatte.» Sie warf Jane einen Blick zu. «Und wenn du dich fragst, wie es
dazu
gekommen ist: Das war, als wir Hatties Geschichte zusammensuchten. Wir haben alte Fotos nachmachen lassen, und eines zeigte Hattie als Kind, da habe ich, ohne weiter nachzudenken, gesagt: ‹Sehen Sie mal, sie sieht aus wie Clancy.› Ich hätte mir die Zunge abbeißen können, als ich Natalies Gesichtsausdruck sah, aber so kam es jedenfalls heraus.»
«Ich glaube, ich kenne dieses Foto. Es hängt jetzt in ihrem Zimmer ... in Hatties Zimmer.»
«Und am nächsten Tag wollten wir uns in der Kirche von Kington treffen. Aber sie ist nicht aufgetaucht. Erst am Tag darauf ist sie früh am Vormittag zu mir gekommen. Und dann hat sie es mir einfach erzählt. Wer sie war und was sie getan hatte. Ohne Rechtfertigungen oder Erklärungen, und sie hat nicht verlangt, dass ich es für mich behalte – ich hoffe, sie wusste, dass das überflüssig war. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen ... bis jetzt.»
«Hat dieses Wissen denn nicht ... Ihre Beziehung verändert?»
«Die Freundschaft bedroht? Warum denn? In gewisser Hinsicht ist sie dadurch sogar gestärkt worden, und ich hatte das überwältigende Bedürfnis, sie zu verstehen. Ich hatte das Gefühl, dass das niemand –
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