Die Nacht Der Jaegerin
Unseres Herrn», die Kranken zu heilen, und schlug vor, die Anregungen des Berichts «gegebenenfalls» in Diözesen und Gemeinden aufzugreifen.
Gegebenenfalls.
Merrily lächelte.
Geistlichen, die mit Heilungen zu tun hatten, empfahl der Bericht, eine Zusammenarbeit mit Ärzten, Krankenschwestern und Pflegekräften im Sinne einer «angewandten Theologie» des geistlichen Heilungsauftrags in Erwägung zu ziehen.
Klar. Mit Leuten wie Kent Asprey oder Lorraine Bonner, der freien Krankenschwester, die gern verkündete, dass sie zu viel vom Leben gesehen hatte, um etwas anderes als Atheistin sein zu können.
Darüber hinaus warnte der Bericht vor schlecht vorbereiteten Heilungsgottesdiensten, Missverständnissen und übertriebenen Hoffnungen, die nur zu Enttäuschungen führen konnten. Befürwortet wurden sogenannte Vermittlungsgruppen, in denen sich «geschulte» Personen zum regelmäßigen Gebet für die Kranken treffen sollten.
Auch das Handauflegen durch Geistliche während der Messe wurde bejaht, ebenso Bußgottesdienste, weil sie die heilende Wirkung des Verzeihens fördern sollten.
Merrily sah die Nummer des Kanonikus Llewellyn Jeavons im Telefonbuch nach. Es gab einen Jeavons L. C. D. in Suckley.
Verrückt
hatte ihn Huw genannt, ohne weitere Erklärung.
Merrily wusste, wo Suckley war. Es war ein auseinandergezogener Weiler im letzten Zipfel von Herefordshire, und nicht weit vom Frome Valley entfernt, wo Lol Robinson immer noch auf dem alten Kornspeicher von Prof Levins Tonstudio aus Koffern lebte.
Manchmal überkam Merrily eine erschreckende sepiabraune Vision von sich selbst in zwanzig Jahren: Eine kleine, mönchische Gestalt saß in einem Zimmer in dem riesigen Pfarrhaus über einen Schreibtisch gebeugt. Es war dunkel. Kühl. Beklemmend. Und sehr einsam.
An diesem Abend, als sie mit Apfelholzscheiten Feuer im Wohnzimmerkamin machten, sagte Jane: «Du zündest den Kamin nicht an, wenn ich nicht da bin, oder? Zum Beispiel letztes Wochenende.»
«Da hatte ich zu viel zu tun.»
«Ich glaube, du hast keinen Schritt hier rein gemacht. Ich konnte die feuchten Wände schon beinahe riechen.»
«Am Samstagabend habe ich die Predigt geschrieben. Am Sonntagabend hatten wir den Gottesdienst, und anschließend kamen die Prossers, um mir von Ann-Marie zu erzählen. Danach hat es sich nicht mehr gelohnt.»
Jane saß in Jeans und einem ausgeleierten weißen Pulli auf dem Kaminvorleger und sah wieder aus wie ein kleines Mädchen. Sie war schon siebzehn – es war beängstigend.
«Es ist nur ...» Sie legte ein kleines Holzscheit auf das flackernde Anmachholz. «Mir gefällt dieser Job. Und Stanner Hall. Man begegnet dort Leuten ... anderen Leuten. Ich mag nur die Vorstellung nicht, dass du ganz allein hier bist. Und das ganze Haus dunkel, mit Ausnahme der Küche und des Spülküchenbüros.»
«Ich habe die Katze. Und natürlich ...»
«Lassen wir
Ihn
da mal raus», kam es unwillig von Jane. «Die Sache ist doch die: In nicht mal zwei Jahren bin ich vermutlich nicht mehr hier, bin irgendwo auf der Uni oder ... was weiß ich. Und dann richtest du dich endgültig unten im Spülküchenbüro ein, wie das letzte Bonbon im Glas, und schreibst mit deinen Predigten gegen die öden dunklen Nächte an.»
Eigentlich war der Moment, in dem Merrily schlafen ging, der schlimmste. Wenn sie die Nachttischlampe ausknipste und wusste, dass das Dachbodenapartment über ihr leer war. Wenn sie an all die leeren Räume dachte und an all die Menschen, die gelebt hatten und gestorben waren. Janes Dad, schon lange tot. Janes Dad, so dachte sie inzwischen an Sean, als sei Jane das Beste, was er in seinem kurzen, korrupten Leben zustande gebracht hatte.
Sie biss sich auf die Unterlippe, stellte sich hinter Jane und massierte ihr die Schultern. «Zwei Jahre sind noch eine lange Zeit.»
«Das habe ich auch immer gedacht, aber es stimmt nicht.» Jane sah zu ihr auf. «Dann bist du beinahe vierzig. Hast du daran überhaupt schon mal gedacht?»
«Zu alt für Sex?»
Jane rückte von ihr weg. «Hör doch auf.»
«Das war ein Witz. Wie läuft es eigentlich im Hotel?»
«Versuch nicht, das Thema zu wechseln. Du sitzt hier in diesem Mausoleum, bist jedes Wochenende allein, und Lol wohnt dreißig Kilometer entfernt, hat kein richtiges Zuhause, soll aber nicht ständig kommen, weil du ja wegen der Kirche und diesem ganzen scheinheiligen Mist deinen
Ruf wahren
musst. Ich meine, wenn du lesbisch wärst, würde doch auch kein
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