Die Nacht Der Jaegerin
samstags nicht ausgehen. Sie waren so oft umgezogen, dass Clancy durch die vielen Schulwechsel im Rückstand war, und dies war ihre letzte Chance, den verpassten Stoff noch aufzuholen. Deshalb hatte Jane Clancys Mutter häufiger gesehen als Clancy selbst, und als sie jetzt in den Vorhof von Stanner Hall kam, stand Natalie mit einem Becher Kaffee an der Verandatür.
«Hallo, Jane.»
Ihre warme, klare Stimme war am Rand des dämmrigen Vorplatzes noch deutlich zu verstehen. Jane stellte sich vor, dass Männer diese Stimme sehr sexy finden mussten. Genau wie Nat selbst. Sie war groß und gelenkig, und unter ihrem schwarzen Pulli ahnte man feste, spitze Brüste. Ihre dichte Mähne hatte die Farbe dunklen Tabaks, und sie war ... tja, sehr schön, auf diese beneidenswert unbekümmerte Art.
«Ist Clan nach Hause gegangen, Jane?»
«Jedenfalls habe ich sie in die richtige Richtung gehen sehen.»
«Hmmm», machte Nat zweifelnd.
Clancy war zu Beginn des Schuljahres das erste Mal aufgetaucht. Sie war etwa ein Jahr jünger als Jane, aber in der Schule zwei Klassen unter ihr, mit dem Ergebnis, dass sie kaum Freunde gefunden hatte. Jane, die sich sehr gut vorstellen konnte, wie furchtbar es sein musste, mit Kleinkindern in eine Klasse zu gehen, war auf Clancy zugegangen, und inzwischen waren sie so etwas wie Freundinnen. Und das hatte indirekt dazu geführt, dass Jane der Wochenendjob in dem Hotel angeboten wurde, weil Clancys Mutter dort Rezeptionistin, Barfrau und auch die Person war, die für einen einigermaßen professionellen Betriebsablauf sorgte.
«Unangemeldete Gäste?» Jane sah zum Parkplatz hinüber, auf dem Jeremys alter Daihatsu stand, den Nat öfter benutzte, und Bens MG und sonst kein einziges Auto.
«Schön wär’s», sagte Nat.
Der Brief war knittrig, und an manchen Stellen war die Druckertinte verschmiert. Amber glättete ihn auf der kontinentalplattengroßen Arbeitsfläche der Kücheninsel, schob ihn Jane hinüber und knipste die Halogenstrahler an.
«Ich musste ihn auf dem Ofen trocknen. Ben hat ihn beim Rausgehen in die Spüle geworfen.»
«Oh.»
«Lies ihn», sagte Amber, «damit du dich nicht wunderst, warum er sich betrinkt und mit Sachen um sich wirft. Abgesehen davon gehörst du jetzt zu uns.»
Vor Freude wurde Jane beinahe rot. Sie nahm den Brief in die Hand.
The Baker Street League
Lieber Foley,
wie zu erwarten, hat der Organisationsausschuss der
League
meine Entscheidung in Bezug auf die Jahreskonferenz im
Stanner Hall Hotel
bestätigt.
Ich fand es zunächst zwar unterhaltsam, dass Sie die Absicht haben, eine Beziehung zwischen dem Hotel, Conan Doyle und dem
Hund
herzustellen. Allerdings lehnt die Mehrheit unserer Mitglieder diese Theorie strengstens ab, und daher erscheint es ihnen unpassend, den Namen der
League
mit Ihrer Einrichtung in Verbindung zu bringen.
Mit freundlichen Grüßen
pp Dr. N. P. Kennedy
Ehrenamtlicher Schriftführer
Jane ließ den Brief fallen. « PP ? Was soll das denn heißen? Und er ist nicht mal unterschrieben. Das ist ... eine Beleidigung, oder?»
«Nein, es ist vermutlich einfach nur gedankenlos.» Ambers Puppengesicht wirkte angestrengt.
«Aber dieser Schweinehund hat Ben eindeutig glauben lassen, dass er die Konferenz bekommt. Das habe ich selbst gehört.»
Natalie stupste den Brief mit dem Zeigefinger an. «
Das
hätte er Ben wohl kaum ins Gesicht gesagt, oder?»
«Ja, aber ...», Jane fühlte sich persönlich getroffen, «vielleicht kann Ben ja herausfinden, was der wahre Grund für die Absage ist.»
«Das ist vermutlich der wahre Grund, Jane. Sie glauben nicht an die Geschichte. Sie denken, wir haben irgendwas erfunden.»
Jane setzte sich auf einen Stuhl. «Ich verstehe sowieso nicht genau, worum es eigentlich geht.
Der Hund von Baskerville.
Als ich das Buch gelesen habe, hat es in Devon gespielt.»
«Ja. Genauer gesagt in Dartmoor.» Amber beugte sich über eine Ecke der Kücheninsel und stützte sich mit den Ellbogen auf ein Paar brandfleckige Topfhandschuhe.
«Das tückische Moor.» Jane erschauerte. In dem Buch war ein wildes Pony im Sumpf untergegangen. Sie hatte an dieser Stelle des Romans gelitten, als sie ihn mit ungefähr zwölf Jahren gelesen hatte. Und genauso bei dem, was dem Hund passiert war. Sie hätte heulen können. Noch dazu war es so gemein. Man wurde in dem Glauben gelassen, dass es um etwas Übernatürliches ging, und dann stimmte es doch nicht. «Gibt es denn Hinweise darauf, dass Doyle den
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