Die Nacht Der Jaegerin
Mensch ...»
«... und dann ist da noch Lols Comeback», sagte Merrily. «Das Album kommt im Mai raus, und dann gibt es vermutlich eine Tournee ...»
Jane lächelte boshaft. «Und jede Menge Groupies.»
«Gibt’s denn heutzutage noch Groupies?»
«Ich will doch nur ein bisschen Salz in die Wunde streuen. Groupies und Lol passen sowieso nicht zusammen.» Jane sah erneut zu Merrily hoch, der Widerschein des Feuers spielte auf ihren Wangen. «Aber du musst bald mal was ändern. Die meisten Leute wissen doch sowieso über euch Bescheid.»
«Ja, aber eine wilde Ehe im Pfarrhaus geht wahrscheinlich doch zu weit. Und ich glaube übrigens auch nicht, dass er das wollte. Jetzt, wo er wieder Fuß fasst.»
«Du bist so ... unspontan. Manchmal gehst du mir wirklich auf die Nerven.»
«Dazu bin ich schließlich da», sagte Merrily.
Um kurz vor neun ließ sie Jane vor dem Fernseher allein und ging ins Spülküchenbüro. Auf dem Schreibtisch lag neben dem Predigtblock der zusammengefaltete Immobilienteil der
Hereford Times.
Knapp über dem Knick war eine Anzeige umkringelt:
LEDWARDINE
Church Street – außergewöhnliches kleines Cottage, denkmalgeschützt, dicht am Zentrum dieses begehrten Dorfes. Wohnzimmer mit Balkendecke, Küche, zwei Schlafzimmer, Badezimmer. Nach hinten Grünfläche und Obstgärten. Unbedingt besichtigen.
Das konnte die Lösung sein. Morgen würde sie den Makler anrufen. Doch heute Abend nahm sie das Telefon ab und wählte die Nummer von Kanonikus Llewellyn Jeavons.
Dann war er eben verrückt. Vielleicht konnte sie das ja ganz gut gebrauchen.
4 Das Zimmer unter dem Hexenhut-Turm
Die Kiefern standen schwarz gegen den orangeroten Himmel, als Jane die Hotelzufahrt hinaufging. Es war später Freitagnachmittag, und wieder überkam sie dieses Gefühl – diese angespannte Erwartung, bei der sich all ihre Sinne schärften, während sich langsam die Nacht über die Grenze senkte.
Die Grenze war
genau hier.
Vielleicht stand sie sogar genau darauf. Das Hotel war in England, aber das Felsmassiv, nach dem es benannt worden war, lag in Wales. Und hier, wo sich der Weg gabelte, verschmolz alles im glühenden Licht des Sonnenuntergangs.
Jane ließ ihre Reisetasche und ihre Schulmappe zu Boden gleiten und blieb an der Gabelung stehen. Die unabhängige arbeitende Frau an der Grenze.
Zwei Hexenhut-Türme ragten hinter den zerzausten Kiefern auf. Stanner Hall war in der viktorianischen Neogotik erbaut worden und deshalb so übertrieben gotisch, wie es die Gebäude der alten Gotik niemals gewesen waren. Und aus dieser Entfernung wirkte das Haus, als gehöre es genau hierher an diese Grenze zwischen England und Wales. Und die Grenze war, wie alle Grenzen, mehr als nur eine politische Teilung; es ging um Magie und Transformation, es war eine Zone, in der Dinge, die normalerweise unsichtbar blieben, für kurze Momente sichtbar werden konnten.
Ein Teil Janes glaubte fest an diese Besonderheit von Grenzen und wollte sich darauf einlassen. Im Christentum dagegen würde es heißen:
Wende dich ab von allen dunklen Mächten ... scheue das Gestaltlose ... lasse dich nicht auf andere Sphären ein.
Und genau deshalb glaubte Jane, dass sie im Grunde immer eine Heidin bleiben würde. Na gut, vielleicht neigte sie auch ein kleines bisschen zu Moms Glauben, aber sehr weit ging das nicht. Moms Glaube war nämlich nicht ortsbezogen.
Das hier
war Janes Heiliges Land.
Der steinige Weg, der an der Gabelung links abzweigte, führte zu den geheimnisvollen Stanner Rocks hinauf. Jane blieb noch einen Moment stehen, genoss es, wie die Nacht auf dunklen Schwingen heranglitt, und nahm dann ihre Taschen wieder auf, um auf dem Weg, der nach rechts abbog, zwischen den Torpfosten von Stanner Hall hindurchzugehen. Auf dem linken Pfosten befand sich ein guterhaltener steinerner Jagdhund, der seine Schnauze entschlossen in die Luft streckte, als heule er den Mond an. Von seinem Gefährten auf dem rechten Pfosten waren nur noch die Pfoten übrig. Eigentlich war hier überhaupt nichts vollkommen intakt. Sogar auf dem Schild stand: STANNER HALL HOTE .
Jane war im Schulbus zusammen mit Clancy bis zur üblichen Kreuzung an der Umgehungsstraße von Kington gefahren, von wo aus sich Clancy auf der Gladestry Road zum Bauernhof aufgemacht hatte. Clancy hatte erzählt, dass ihre Mutter sehr streng war, wenn es um die Schulaufgaben ging. Wenn sie zum Beispiel bis Freitagabend ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte, durfte sie
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