Die Nacht Der Jaegerin
misstrauisch. Als sie ihn endlich telefonisch erreicht hatte, war herausgekommen, dass Sophie Hill ihn im Auftrag des Bischofs schon angerufen hatte, um festzustellen, ob er immer noch für Beratungsgespräche zur Verfügung stand. Möglicherweise hatte Sophie ihm ein bisschen etwas über sie erzählt, aber bestimmt nichts Persönliches. Sophie erzählte persönliche Dinge nie weiter.
«Ich würde sagen, Sie leiden unter der Horrorvorstellung, für ...», er sah sie aus halbgeschlossenen Augen an, «...
frömmlerisch
gehalten zu werden.»
«Wie kommen Sie darauf, Mr. Jeavons?»
«Bitte sagen Sie Lew zu mir», sagte er.
Sie sagte jedoch überhaupt nichts, sondern starrte ihn einfach nur an. Er trug ein Leinenjackett mit breiten blauen und hellgrauen Streifen, wie ein Bootsausflügler. Darunter erkannte sie etwas, was kein Klerikerausstatter im Sortiment hatte: ein hochgeschlossenes schwarzes T-Shirt mit einem aufgedruckten weißen Priesterkragen. Vielleicht hatte er es in einem Scherzartikelladen gekauft.
«Sie müssen verstehen, Merrilee, dass die meisten weiblichen Kleriker aus meiner Bekanntschaft überaus stolz auf das sind, was sie nach so vielen Jahrhunderten für die Frauen erreicht haben. Sie tragen den Priesterkragen und das Klerikerhemd zu jeder erdenklichen Gelegenheit. Womöglich schlafen sie sogar in einem Klerikernachthemd, wer weiß? Und jedes Mal, wenn sie mit einem männlichen Geistlichen sprechen, ist es ihnen
extrem
wichtig, als gleichwertig angesehen zu werden. Sie dagegen – kein Priesterkragen, kein Klerikerhemd. Nur ein Kreuz, und das ist so unauffällig, dass man es einfach für Schmuck halten könnte. Und Sie sind auch weder übermäßig geschminkt, noch tragen Sie einen kurzen Rock ... Sind Sie verheiratet?»
«Ich bin seit ein paar Jahren verwitwet. Aber es gibt ... einen Mann.»
«Oh.» Er kniff die Augen zusammen.
«Er ist Musiker. Zurzeit hilft er in einem Tonstudio im Frome Valley aus. Wir sehen uns ... nicht so oft, wie wir möchten, und ich weiß nicht so recht, wie ich mich am besten verhalten soll.»
«Wissen die Leute aus Ihrer Gemeinde über ihn Bescheid?» Die Katze kuschelte sich an seinen dicken Bauch.
«Ein paar werden sich inzwischen ihren Teil denken. Er hat früher auch im Dorf gewohnt. Wir dachten, es gäbe eine Gelegenheit, dass er wieder zurückzieht, aber es sollte nicht sein.»
Es sollte nicht sein
– hatte sie Jeavons mit dieser Formulierung eine Art schlechter Vorahnung übermittelt? Merrily war nun auf der Hut. Dieser Mann entlockte einem problemlos jedes Geheimnis.
«Und was sagen Ihnen Ihre Gebete über diese Beziehung?», fragte Jeavons.
«Ich habe das Gefühl, es ist das Richtige. Im Moment.»
Jeavons nickte. Merrily blinzelte. Es war etwas an dem Licht in diesem Raum, an der weißen Klarheit nach dem Dämmer im übrigen Cottage. Es war wie die Helligkeit von Schnee:
Alles
wurde beleuchtet. Merrily hatte das merkwürdige Gefühl, eine Initiation hinter sich gebracht zu haben.
Sie sagte langsam und beinahe gegen ihren Willen: «Martin Israel sagt in seinem Buch über Exorzismus, dass ein gewisses Maß an übersinnlichen Fähigkeiten vonnöten ist, wenn man in diesem Job arbeitet ...»
«Und Sie glauben, diese Voraussetzung nicht zu erfüllen?», sagte Jeavons.
«Woher wussten Sie, dass mir das Wort ‹frömmlerisch› so zuwider ist und ich Angst habe, dafür gehalten zu werden?»
«Davon wusste ich nichts.» Jeavons streichelte die Katze, die darauf noch lauter schnurrte. «Merrilee, Sie sind ein offener Mensch. Manche Ihrer Eigenschaften sind Ihnen geradezu auf die Stirn geschrieben ... Ich bin sicher, dass Sie außerordentlich diskret sind, wenn es um die Angelegenheiten anderer geht, aber was Sie selbst betrifft ... Sie geben deutliche Hinweise, wissen Sie?»
«Das Wort ‹frömmlerisch› ...»
Jeavons lachte. «Das lässt Sie nicht los, was? Das Wort ist mir einfach in den Kopf gekommen. Das passiert mir manchmal. Wenn wir uns damit beschäftigen würden, was uns die Menschen direkt und indirekt über sich selbst erzählen – wenn wir entspannt genug oder in einer kontemplativen Stimmung sind –, dann kommen Hinweise zusammen, und ein Gefühl oder ein Wort fällt einem ein, wie ... wie ein Päckchen Zigaretten aus dem Schacht eines Zigarettenautomaten fällt.»
Sie runzelte die Stirn. «Sehen Sie auch die Nikotinflecken auf meinen Zähnen?»
«Ihre Zähne sind weiß wie Perlen.»
«Und ist das immer richtig, was
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