Die Nacht Der Jaegerin
Largo. «Dieses graue Gemäuer mit dem kleinen Turm, an dem wir gerade vorbeigefahren sind.»
«Ich hab mir was anderes überlegt.» Kurz vor dem Stadtzentrum war Ben rechts abgebogen und fuhr nun wieder ins offene Land hinaus. «Ich erzähle es als Fortsetzungsgeschichte.»
«Können wir wenigstens das Verdeck zuklappen?»
«Das klemmt, wenn du’s genau wissen willst.»
«Super.»
«So ein bisschen frische Luft tut dir bestimmt gut.»
«Ich weiß genau, was mir gut tut, Kumpel, aber wir haben sie im Hotel gelassen.»
Sie kamen in eine hügelige Landschaft. Jane war noch nie in dieser Gegend gewesen und hatte keine Ahnung, wohin die Straße führte.
«Lass deine dreckigen Pfoten von meinen Angestellten, Antony», sagte Ben verhalten. «Natalie hat eine Beziehung, und sie ist verdammt gut in dem, was sie tut.»
«Woher willst ausgerechnet du das wissen?»
«Was?»
Die Stimmung änderte sich plötzlich. Largo schnauzte Ben wütend an: «Du hast doch keine Ahnung vom Hotelgewerbe. Du bist total irre. Du hättest als freier Regisseur weitermachen können, wie jeder andere Idiot, den die BBC ausrangiert. Du hättest
zu mir
kommen können. Und was machst du stattdessen? Kaufst dir so ein verdammtes baufälliges Herrenhaus, ohne zu überlegen, was das wirklich bedeutet!»
Ben packte das Lenkrad fester. «Ich habe wieder geheiratet, falls dir das nicht aufgefallen ist. Ich muss auf Ambers Meinung Rücksicht nehmen.»
«Ach ja, und weil du dich als Künstler fühlst, hast du sie zum Dienstmädchen gemacht. Du wolltest beweisen, dass du keinen von uns brauchst. ‹Ich zeig’s diesen Mistkerlen. Ich ziehe aus London weg, richte mir mein eigenes kleines Paradies ein, fühle mich wieder fit und jung, dann werden die grün vor Neid.› Wie kann man bloß so naiv sein? Die Wahrheit lautet nämlich, dass du uns
sehr wohl
brauchst, du Arschloch.»
Ben hing grimmig über dem Steuer, verlangsamte die Fahrt und holte tief Luft. Dann sagte er: «Das Gebäude da vorne rechts ist Hergest Court.»
Es war ein enttäuschender Anblick.
Es hätte irgendwie größer sein sollen. Musste auch irgendwann größer gewesen sein, nachdem es eindeutig auf einer
Motte
, einem Burghügel, stand. Das Gebäude war etwa fünfzig Meter von der Straße entfernt, die eine Hälfte aus Fachwerk, die andere aus Backstein. Die Backsteinseite hatte ein schräges Dach, die Fachwerkseite hörte einfach plötzlich auf.
«Als wäre das Haus abgesägt worden», sagte Jane.
«Das sind nur noch die Reste der ursprünglichen Burg», erklärte Ben. «Sieht wirklich ziemlich elend aus. Die Besitzer haben sich in letzter Zeit nicht darum gekümmert. Davor war das Gebäude an Landwirte verpachtet, und einmal war sogar eine Galerie mit Bauernkunst drin. Aber an dem Hügel, auf dem die Burg steht, sieht man, dass es im dreizehnten Jahrhundert mal eine richtige Festung gewesen sein muss.»
«So stelle
ich
mir Baskerville Hall jedenfalls nicht vor», sagte Antony Largo.
Ben stellte den Motor ab. Die Atmosphäre zwischen ihm und Antony Largo schien sich weiter anzuspannen. Kein anderes Auto war vorbeigekommen, seit sie stehen geblieben waren.
«Seit dem fünfzehnten Jahrhundert gehört das Anwesen den Vaughans», sagte Ben. «Der einflussreichsten Familie in der Geschichte Kingtons.»
Antony streckte sich. «Und du glaubst, sie waren das Vorbild für die Baskervilles?»
«Es gibt eine alteingesessene Familie Baskerville in dieser Region, aber die Geschichte stammt von den Vaughans. Die wichtigste Gestalt ist Thomas Vaughan, der im Rosenkrieg von der Seite des Hauses Lancaster auf die des Hauses York gewechselt ist. Er wurde 1469 in der Schlacht von Banbury getötet. Man nannte ihn Black Vaughan.»
«Logisch», sagte Antony.
Ben runzelte die Stirn. «Anscheinend, weil er schwarzes Haar hatte. Um ihn von seinem rothaarigen Bruder zu unterscheiden.»
«Musst du unbedingt jede kleinste Kleinigkeit erzählen?»
Jane warf hastig ein: «Im Buch hieß er Hugo Baskerville, oder? Der Typ, der angeblich den Fluch über die Familie gebracht hat.»
«Ein unbeherrschter, lüsterner und gottloser Mann, nach Conan Doyles Baskerville-Manuskript.» Ben drehte sich zu Jane um. «Conan Doyle verlegt die Geschichte in eine andere Bürgerkriegsphase. Vom fünfzehnten Jahrhundert der Rosenkriege ins siebzehnte Jahrhundert des englischen Bürgerkriegs. Genauso macht ein Autor seine Quellen unkenntlich.»
«Und es ging um eine Frau, oder?»
«Um die Tochter eines
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