Die Nacht Der Jaegerin
ist.»
«Man hat seinen Eltern erzählt, er wäre augenblicklich tot gewesen», sagte Merrily. «Er hätte nicht gelitten. Und das kann, was die körperlichen Schmerzen angeht, durchaus stimmen. Aber es beschreibt nicht, was für grausame Ängste er in den Minuten vor dem Unfall durchgemacht haben muss.»
«Ja», sagte Jeavons leise.
«Als Letztes hat Dexter vor dem Aufprall vermutlich die Schreckensschreie seines neunjährigen Cousins gehört. Wie viel er von dem Blutbad auf dem Rücksitz gesehen hat, wissen wir nicht.»
«Und was ist dann mit Dexter passiert?»
«Nicht viel. Es war seine erste Straftat. Hat vor Gericht kaum etwas gesagt, hat sich nur entschuldigt und ist in Tränen ausgebrochen. Die Entscheidung des Gerichts folgte der Ansicht, dass die Strafe, mit der Schuld leben zu müssen, für Dexter schlimmer war als alles, was ihm das Rechtssystem hätte auferlegen können.»
«Das ist nicht immer eine gute Entscheidung», sagte Jeavons. «Eine Inhaftierung begrenzt die Schuld zeitlich. Das Leben geht nach der Haft weiter.»
«Die Familie hat dieser Unfall jedenfalls gespalten. Bei der Beerdigung gab es eine schreckliche Szene. Rolands Mutter schrie, Dexter sei ein Mörder, der ins Gefängnis gehöre. Womöglich hatte sie vergessen, dass Darrin der Anstifter war. Aber Darrin konnte eben nicht fahren, also war es Dexter, der Roland getötet hat.»
«Hat seine Großmutter die Geschichte erwähnt?»
«Seine Tante. Alice. Mit keinem Wort, aber das Ereignis erklärt vielleicht, warum Dexter seither in keiner Kirche mehr war. Seine Eltern sind danach auf die andere Seite von Hereford gezogen und haben ihn in eine andere Schule geschickt.»
«Und es erklärt ganz bestimmt, warum er dichtgemacht hat, als Sie ihn fragten, was ihm bei einem Asthmaanfall durch den Kopf geht», sagte Jeavons. «Wurde er damals psychologisch betreut?»
«Das war damals noch nicht so üblich. Und schon gar nicht, wenn es um die Täter ging.»
«Und jetzt arbeitet er in einer Autowerkstatt.»
«In einem Reifenhandel. Meinem Bekannten zufolge hat er sich seither nicht mehr strafbar gemacht. Die schweren Asthmaattacken haben innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingesetzt. Also ...» Merrily klappte den Block zu und betrachtete das flächige Pastellmosaik des Paul-Klee-Drucks. «Kann ich ihm helfen?»
«Was meinen Sie denn selbst?»
«Ich kann mir vorstellen, was Sie mir raten wollen. Auch wenn ich mich schon beim bloßen Gedanken daran vollkommen erschöpft fühle, scheint die Logik dahinter fast zu perfekt.»
«Ja», sagte Jeavons.
«Würden
Sie
es machen?»
«Was? Sprechen Sie es aus.»
«Die Heilung der Lebenden und die Heilung der Toten. Eine Seelenmesse, um der Seele eines Neunjährigen Frieden zu bringen, der vor siebzehn Jahren gestorben ist. Und seinem Cousin, der das alles mit sich herumträgt, wie ein inneres Video, das immer wieder abgespielt wird ... bis es seine Lungen abschnürt.»
«Wie aus dem Lehrbuch», sagte Jeavons. «Es sei denn, es wurde schon eine Seelenmesse für sie abgehalten.»
«Es gab keine. Ich habe mich erkundigt. So habe ich auch von der Szene bei der Beerdigung erfahren. Und später wurden Dexters Vater die Autoreifen zerstochen, es wurde ins Haus eingebrochen und so weiter. Sie waren überzeugt, dass es Darrin war, der sie terrorisieren wollte.»
Und nicht grundlos. Bliss hatte gesagt, dass Darrin zum notorischen Einbrecher geworden war. In der Familie hieß es, Dexter hätte Darrin auf die schiefe Bahn gebracht.
«Noch vor ein paar Monaten, so hat mir mein Bekannter von der Polizei erzählt», sagte Merrily, «ist Darrins Mutter der Mutter von Dexter auf einem Parkplatz begegnet und hat ihr ins Gesicht gespuckt.»
«Die Zeit heilt eben doch nicht alle Wunden», sagte Jeavons.
«Also gibt es hier sehr viel mehr zu heilen als eine Asthmaerkrankung.»
«Glauben Sie, die Tante wollte, dass Sie das alles herausfinden?»
«Ich weiß nicht», sagte Merrily.
«Sie haben da einen sehr interessanten Fall, Merrilee», sagte Lew Jeavons. «Warum versuchen Sie, ihm auszuweichen?»
«Tue ich das?»
«Breiten Sie die Arme aus! Gehen Sie darauf zu!»
Und dann brach er in lautes Gelächter aus, dieser Mistkerl.
White Company.
Cooler Name, aber ...
Komm schon, was hast du denn erwartet?
Jane stand mit Ben an der Treppe und betrachtete die kleine Gruppe, die sich in der Empfangshalle zusammenscharte. Von den dreien war Elizabeth Pollen die lebhafteste. Dann war da ein Jüngelchen
Weitere Kostenlose Bücher