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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Zwischenfall an der Mauer handeln, denn die Radiomeldung hätte sicher den Dienstweg überrundet.
    »Nicht in das Chefbüro«, fing sie Schimansky ab. »Guten Tag übrigens, Frau Doktor. Bitte in die ›Laube‹. Wir sind gleich komplett.«
    Die ›Laube‹ war eine abhörsichere Kabine, schmucklos und zweckbedingt wie die Tresoranlage einer Bank. Wegen der Lauscher – schon vor dem Einzug der Mission war eine Wanze im Büro des Hausherrn entdeckt worden – galt die ›Laube‹ als Sicherheitsgebot, aber auch als Status-Symbol, denn wer an diesen Besprechungen teilnahm, gehörte zur Spitze des Hauses.
    Vierzehn Personen fanden hier bemessenen Platz, aber heute kamen nur der Botschafter und vier führenden Mitarbeiter zusammen: neben Schimansky und Dr. Pahl die beiden Hausjuristen mit den gegensätzlichen Namen Wolf und Lamm. Dieser Witz, der nie endete, wurde noch dadurch unterstrichen, daß die Ressortchefs verbal gegen ihren Typ besetzt waren: Wolf wirkte klein und subaltern; Lamm dagegen vierschrötig und reizbar.
    Sie waren im Gespräch und sahen die Legationsrätin nicht. »Wie mich das ankotzt«, sagte Lamm, »diese DDR-Superlative: der Staat ohne Arbeitslose. Die beste Krankenversorgung der Welt. Die niedrigsten Mieten und der höchste Pro-Kopf-Butterverbrauch!«
    »Man könnte auch sagen«, schaltete sich Cynthia ein und begrüßte die beiden Juristen durch ein Kopfnicken, »das Land, in dem am wenigsten Passanten auf einer Orangenschale ausrutschen, weil es nur selten Apfelsinen gibt.«
    »Köstlich, Frau Dr. Pahl«, dröhnte Schimansky, den sie hinter seinem Rücken ›Schimpansky‹ nannten. Und sie lachten alle frei, nach der Devise des Bertolt Brecht: ›Es ist schlimm, in einem Land zu leben, in dem es keinen Humor gibt. Aber noch schlimmer ist es, in einem Land zu leben, in dem man Humor brauchte.‹
    »Herr Keil telefoniert noch«, erklärte Schimansky, »aber er muß jeden Augenblick kommen.«
    »Wir haben ja Zeit«, erwiderte Cynthia, nahm Platz, schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. Sie tat es ohne Absicht, aber sie wurde zum Blickfang. Sie hatte nichts dagegen. Meistens ermunterte sie durch ihr Verhalten ihre Umgebung zur Zurückhaltung. Manchmal machte es ihr Spaß, ihre Kollegen aus dem Gehäuse ihres Wohlstands zu locken. Schimansky war es nicht entgangen, daß sie von einer Sekunde auf die andere von Sachlichkeit auf Weiblichkeit umschalten konnte, von Verstand auf Sex, auf Sex mit Verstand.
    Der Sicherheitsbeauftragte bei Bonns Ständiger Vertretung war längst über seine wilden Jahre hinaus, aber er wußte nicht, wie er sich gegenüber Cynthia verhalten würde, wenn er an der Stelle des zwölf Jahre jüngeren Martin Keil stünde. Was das schöne Geschlecht betraf, war Schimansky in seinem Leben nicht zu kurz gekommen, aber was war zum Beispiel eine blonde Negerin gemessen an einer emanzipierten – und doch nicht blaustrümpfigen – Frau, wie es sie in seiner männlichen Glanzzeit kaum gegeben hatte? Würde sie nicht das uralte Spiel der Intimität umdrehen und aus einem Jäger einen Gejagten machen? In Gedanken erprobte Schimansky bei ihr die alte Taktik und streifte in seiner Fantasie wie zufällig ihr Haar; aber Cynthia bemerkte es nicht, weil sie es nicht wahrnehmen wollte.
    »Ich war gestern Abend in Westberlin«, erzählte Dr. Wolf. »Mußte einfach mal wieder durchatmen. Ich bummelte über den Kurfürstendamm und traute meinen Augen nicht: An mir fuhr Max Konopka vorbei.«
    »Der Genosse de luxe?« fragte Schimansky.
    »Ja. Der Mann ist mir nur aufgefallen, weil er in einen ganz gewöhnlichen VW-Käfer stieg.«
    »Und das ist auffällig?« fragte Cynthia.
    »Sie kennen Konopka nicht«, plusterte sich Schimansky auf. »Er lebt auf großem Fuß. Er schätzt Repräsentation über alles. Und dann seine Weibergeschichten …« Er lächelte schuldbewußt und setzte hinzu: »Entschuldigen Sie bitte, Frau Doktor.«
    »Nun hören Sie mal«, entgegnete die Diplomatin, »schließlich bin ich schon vor fünfzehn Jahren in Ehren vom Mädchenpensionat entlassen worden.«
    Die Sonntagsdienstler lachten. Mitunter beneideten sie sich selbst um ihre hübsche Kollegin, wiewohl Frauen ihrer Meinung nach im diplomatischen Dienst eigentlich nichts zu suchen hatten, es sei denn als Sekretärinnen, Telefonistinnen, Kaffeekocherinnen.
    Aber vieles hatte sich geändert; weltweit gab es wieder Deutschlands Auslandvertretungen in fernsten Ländern, wenn auch der exotischste Platz

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