Die Nacht der Schakale
ich aus Pullach einen Anruf und wurde gebeten, bis auf weiteres das Hotel nicht zu verlassen.
Später wurde mir dann mitgeteilt, daß sich gegen 17 Uhr eine Kandidatin für eine Ehe auf Zeit bei mir vorstellen würde. Für zwei, drei Tage eine Leihfrau aus Tarnungsgründen.
10
Der Sonntag machte das Wetter auch nicht besser. Es war 8 Uhr 46, als die junge Frau aufstand und ans Fenster trat. Der Himmel hing tief über Berlin, niedrig wie eine Affenstirn. Und grau war die Mauer. Grau war schon keine Farbe mehr, sondern ein Zustand. Seit Cynthia Pahl aus beruflichen Gründen aus dem goldenen Westen in den roten Osten übersiedelt war, hatte sie nur wenige Sonnentage erlebt. Aber sie war ja gerade aus einem Sonnenland gekommen.
Sie stieg in die Badewanne. Die Tür zu ihrem Wohnzimmer stand offen. Das Telefon klingelte schon zum drittenmal, aber sie ließ es bimmeln. Erstens hatte sie frei, und dann kamen in der Regel wichtige Ereignisse ohnedies nicht über das Fernsprechnetz.
Sie steckte bis zum Hals im duftenden Badeschaum. Ihre mattblonden Haare hatte sie hochgesteckt; sie paßten zu ihren Augen, die nach der Meinung mancher Verehrer violett waren. Sie hatte die Beine abgewinkelt und angezogen; es lag daran, daß sie ein wenig zu lang und die Ostbadewanne ein bißchen zu kurz war. Auf ihrer Haut herrschte schon Hochsommer. Sie hatte die tiefe Bräune aus ihrem geraden beendeten Vierwochenurlaub mitgebracht, und sie war vorsichtig genug gewesen, sich in einer Zone aufzuhalten, in der das Wetter kein Problem war.
Cynthia hielt das endlose Gebimmel nicht mehr aus. Sie kletterte aus dem Wasser. Ihr Körper schälte sich aus dem Schaum. Mit ihrer straffen Haut, ihren lässigen Gliedern, ihren melodischen Bewegungen – ohne Berechnung, doch voller Wirkung – war sie eine Attraktion von Frau, was nichts daran änderte, daß sie Legationsrätin Erster Klasse war. Zur Zeit bei der Ständigen Vertretung der Bundsrepublik in Ostberlin, Hannoversche Straße 27. Die rechte Hand des Botschafters, der keiner war und nie einer werden würde, weil die besonderen deutsch-deutschen Beziehungen diesen Titel nicht zuließen. Auch wenn Martin Keil – der schon Vorgänger gehabt hatte – nach dem Protokoll mit ›Exzellenz‹ zu titulieren war.
»Pahl«, meldete sie sich.
»Entschuldigen Sie die Störung, Frau Doktor«, sagte Schimansky, der Chef der untätigen Konsularabteilung. »Wir müssen uns leider zu einer sonntäglichen Sondersitzung treffen. Herr Keil hätte sie gern dabei. Um zehn Uhr. Schaffen Sie das? Tut mir leid.«
»Mir auch«, erwiderte die Legationsrätin lachend und legte auf.
Daß Schimansky der Sicherheitsbeauftragte in der Ersatzbotschaft war, galt als offenes Geheimnis. Wenn man sie am Sonntag rief, noch dazu in Eile über das mit Sicherheit abgehörte Telefon, dann war der Teufel aus der Schachtel. Die Stasi-Beamten hatten gestern wieder zwei Fluchthelfer geschnappt und sie offensichtlich zum Reden gebracht. Seitdem wurde auf der Jagd nach Westspionen der wuchtige Gebäudekomplex in Berlin-Lichtenberg förmlich umgekrempelt.
Cynthia stellte sich, während sie sich die Lippen nachzog, die hektische Geschäftigkeit vor, die sich zu dieser Stunde in der Normannenstraße austoben müßte. Das Stasi-Ministerium hatte es in sich; wenn General Lupus in Lichtenberg nieste, fürchtete Martin Keil in der Hannoverschen Straße bereits den Schnupfen.
Als Dreißigerin braucht man nicht lange, um sich herzurichten. Einen Moment betrachtete Cynthia sich im Spiegel, durchaus nicht in sich verliebt, doch mit sich zufrieden, auch wenn sie ihren Nutzen aus ihrem Verstand zog und nicht aus ihrem Körper.
Sie ging zu Fuß; sie hatte noch Zeit. Sie wohnte in einem klotzigen Neubau in Alexanderplatz-Nähe, wo man gegebenenfalls Schüsse an der Mauer genauso deutlich hören konnte wie in der Ständigen Vertretung nächst dem Westsektor.
Seit aus der Zone die DDR geworden war, hatte sich auch optisch viel geändert. Zwar wirkten die Straßen noch etwas ärmlich, aber sauber, jedenfalls reinlicher als zum Beispiel der Kurfürstendamm. Die Bürger des anderen Deutschland hatten sich mit dem SED-Regime wenn nicht abgefunden, so doch arrangiert. Teils glaubten, teils verlachten sie die penetranten Parolen, die man ihnen einhämmerte, und meistens gingen sie zu einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Im zweiten deutschen Staat hatten die Bürger das Talent entwickelt, hinzusehen und wegzuhören. Sie konnten sich
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