Die Nacht der Schakale
Qualität erhalten würde.
»Ich werde den Leuten in Bonn jetzt doch mal Beine machen«, behauptete Martin Keil und zog sich in sein Büro zurück wie die Schnecke in ihr Gehäuse. Einen Moment lang blieb der im Vorzimmer stehen. Die hier etablierte Telefonkabine mit dem heißen Draht blieb stumm. Er trat ans Fenster und sah einen einsamen Passanten mit einem zerknitterten Gesicht. Der Mann ging auf die Vopos vor dem Haus zu. Die beiden Polizisten betrachteten ihn unverwandt und sahen erst weg, als er langsam weiterging, alt, verbraucht, leicht gebeugt, schutzlos dem Regen preisgegeben.
Auch in der Laube war die Stimmung jetzt gequält. Der lammfromme Wolf hockte geduckt in seiner Ecke und wirkte noch kleiner; der bissige Lamm schien heute ausnahmsweise einen unsichtbaren Maulkorb zu tragen. Schimansky saß neben Cynthia und bewunderte ihre zärtliche Nackenlinie. Sein Wohlwollen tastete sie weiter ab, ohne sehr weit zu kommen. Eigentlich gehörte es zu seiner Aufgabe, auch ihr Privatleben zu überwachen, aber der Sicherheitsbeauftragte wußte selbst, daß er auf seinem Posten fehl am Platz war. Er hatte in den Gründerjahren ein paar Monate beim Verfassungsschutz gearbeitet, bevor er wieder in den Auswärtigen Dienst zurückkehrte. In einem Jahr würde er pensioniert werden und bis dahin keine großen Sprünge mehr im Niemandsland riskieren.
Schimansky war klug genug, sich zu sagen, daß er als Sicherheitsbeauftragter eine kalkulierte Fehlbesetzung war, um den östlichen Gegenspielern harmlose Absichten klarzumachen. Jedenfalls paßte er ausgezeichnet zu Bonns geheiligtem Grundsatz angewandter Tatenlosigkeit und hinhaltender Nachgiebigkeit.
Aber seine fachliche Unfähigkeit sprach für seine menschliche Qualität, auch wenn er weder wußte, wo Lamm seine Abende zubrachte, noch mit wem sich Wolf in West-Berlin traf, noch wer Cynthia Pahl nahestand. Ihr Privatleben wäre sicher interessanter gewesen als die Intimsphäre des Botschafters. Schimansky war über die Jahre hinaus, in denen man für das schöne Geschlecht seine Fantasie strapazierte. Trotzdem witterte er vitale Sinnlichkeit hinter der glänzenden Fassade seiner Kollegin. Er sagte sich, daß eine Frau wie sie nicht allein leben würde, auch wenn jeglicher Anschein dagegen spräche. Sofern die junge Diplomatin Liebhaber hatte, dann jedenfalls keine vom Bau, was nur für ihre Klugheit sprach.
Der Flirt mit Martin Keil würde ewig auf der Warteliste stehen, ohne je zu einem Höhenflug zu kommen. Auch wenn bei dem Missionschef der Johannistrieb vorzeitig ausgebrochen war, vorwitzig würde er nie werden. Martin Keils Abenteuer war seine Karriere. Und über seiner Sinnlichkeit hatte er von jeher Knieschützer getragen.
Alle hörten es, als das Telefon anschlug.
Oben hob Martin Keil den Hörer ab.
Diesmal war es Bonn, der Außenminister persönlich. »Guten Tag, Herr Keil«, sagte er mit sorgfältig modulierter Stimme. Er sprach sanft wie ein Delikatessenhändler zu einem Magenkranken. »Ich weiß, daß Sie vor Ort arbeiten und daß Sie deshalb unsere – unsere neue Sicht der Dinge am schwersten treffen muß.« Der AA-Chef wiederholte die vorsichtig formulierte Anweisung und behauptete am Schluß: »Die Maßnahme erfolgt in höherem Interesse.« Er hüstelte. »Unter Zwang«, setzte er ein Stück Wahrheit hinzu. »Alles, was Ihnen der Herr Staatssekretär nunmehr mitteilen wird, geschieht mit meinem Wissen und unter meiner Verantwortung.«
Das Gespräch mit dem Stellvertreter des Ministers dauerte 16 Minuten. Bonns Mann in Ost-Berlin wehrte sich gegen die Zumutung, so gut er konnte. Er legte den Hörer auf und blickte ins Leere.
Dann trat er ans Fenster, sah auf die Straße, als wäre der unerwünschte Asylsucher schon zu sehen, der so oder so die erstaunliche Laufbahn des Martin Keil beenden müßte. Es war in der Bundesrepublik als Folge des Zweiten Weltkriegs ein beliebtes Akademie-Thema, ob man falsche oder verantwortungslose Befehle ausführen müßte, und immer hatte sich der Karrieremann mutig zu den Rebellen der Moral bekannt. Damals wußte er freilich nicht, daß er einmal in diese Lage kommen könnte. Theorie und Praxis sind zwei Paar Stiefel, und der Missionschef hatte schon immer als blendender Theoretiker gegolten.
Das Schlimmste kam noch: Martin Keil mußte seinen Mitarbeitern den kapitalen Bock präsentieren, den Bonn geschossen hatte. Entgegen seiner Gewohnheit machte er einen kleinen Umweg zum Schnapsschrank. Er widerstand der
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