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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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fraglos Ostberlin war, wo man von einer Minute auf die andere ins eigene Land wechseln konnte und psychologisch doch Lichtjahre von ihm entfernt war. Alle hatten sich freiwillig zum Dienst in die Hannoversche Straße gemeldet, weit fünfmal soviel Bewerber wie gebraucht wurden. Die Personalabteilung des Auswärtigen Amtes hatte bei der Auswahl der Kandidaten aus dem vollen schöpfen können.
    Von persönlichen Gründen abgesehen, lagen die allgemeinen auf der Hand: Man holte sich in Ostberlin weder eine Malaria noch die Amöben-Ruhr. Man brauchte keinen Impfschein und saß nicht im Busch hinter Bamako oder noch weiter weg von der Heimat in Kuala Lumpur. Das Gastland sprach die Muttersprache und war auch gar kein Gastland, sondern ein anderer Teil Deutschlands, trotzdem mit der Auslandszulage zu honorieren. Es gab weder Schulprobleme für die Kinder – ein Kleinbus schaffte sie täglich nach Westberlin –, noch Nachschubsorgen für die Hausbar. Abends sah man das eigene Fernsehen, und, falls nötig, konnte man das kaputte Gerät zur Reparatur nach Westberlin bringen.
    Das DDR-Außenministerium hatte dem Wagen der Westdeutschen Vertretung das CD-Schild zuerkannt; ihre Mitglieder konnten Sekunden nach Vorzeigen ihrer Sonderausweise den Mauerübergang passieren, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es war nur ein Katzensprung zum Schlemmerlokal, zum Nachtclub oder Golfplatz.
    Bonns Repräsentant telefonierte immer noch; was seine Mitarbeiter für ein Staatsgespräch hielten, war nur ein Palaver mit seiner Frau, die dem verschmorenden Sonntagsbraten nachjammerte.
    Um 11.30 Uhr erschien Martin Keil, um seine Mitarbeiter zu vertrösten. Bonns Mann in Ost-Berlin nickte den Beamten zu; nur der Legationsrätin gab er die Hand. Er war um die 50, stammte aus Norddeutschland, war weder Berufsdiplomat noch Geheimdienst-Fachmann, aber ein Karrierist von 18 Karat, spitznasig und spitzfindig. Cynthia hielt ihn für ebenso dünnhäutig wie humorlos, aber sie würde sich hüten, diese Feststellung zu äußern. Der Karriere-Politiker war vom Typ her ein Mann, der noch im Hochsommer lange Unterhosen trug. Er begünstigte sie fraglos, aber Cynthia hatte dabei kein schlechtes Gewissen: Eine Frau, die sich nicht ein bißchen verstellen kann, ist keine Frau.
    »Meine Dame, meine Herren«, begann der Hausherr. »Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Ihre Sonntagsruhe unterbrechen mußte. Es ist weder meine Schuld noch mein Wunsch …« Er betrachtete seine Mitarbeiter der Reihe nach. »… sondern eine überraschende Anweisung aus Bonn.«
    »Wußte gar nicht, daß in Bonn am Sonntag gearbeitet wird«, erwiderte Cynthia verwundert, und die Herren, einschließlich des Botschafters, lächelten ein wenig verkrampft.
    »Die Maßnahme geht vom Bundeskanzleramt direkt aus«, stellte der Hausherr fest. »Mehr kann ich Ihnen noch nicht sagen. Aber ich habe so eine Vorahnung, daß ein ziemlich dicker Hund auf uns zu kommt.«
    Cynthia betrachtete den Missionschef. Leute, die ihn nicht leiden konnten – und solche gab es viel – behaupteten, daß er bei Oberwasser ein Besserwisser und bei Gegenströmung ein Untertaucher sei. Wenn das stimmte, würde er wohl bald das nächste Flugzeug nehmen, um nicht da zu sein, wenn es tatsächlich brannte.
    »Jedenfalls appelliere ich an Ihre Geduld«, sagte Martin Keil und setzte, da er witzig sein wollte, hinzu: »Ich werde sie Ihnen mit belegten Brötchen und Gratiskaffee honorieren.«
    Die Anwesenden lächelten gequält. Langsam dämmerte den Teilnehmern einer bislang stummen Dauerkonferenz, daß unmittelbar bevorstehende Ereignisse mehr ruinieren könnten als einen dienstfreien Sonntag.
    »Entweder steht Bonn wirklich kopf«, sagte der Botschafter, der sich nicht Botschafter nennen durfte, »oder man erlaubt sich gegen uns eine unglaubliche Impertinenz.«
    »Und dabei erkennen sogar die dialektischen Materialisten den siebten Tag der Schöpfung als Ruhetag an«, sagte die Legationsrätin lachend.
    Soweit im Haus irgendwo das Telefon klingelte, flammte die Spannung auf und brannte sogleich nieder wie Strohfeuer. Interessant war nur der heiße Draht nach Bonn, der über Zerhacker lief; aber er blieb tot, beziehungsweise scheintot. Sie saßen herum wie bestellt und vergessen. Es war jetzt auch schon zu spät, um ein Eßlokal aufzusuchen. Die Restaurants waren in Ost-Berlin halb so teuer wie im Westen, aber schlecht, was nicht unbedingt hieß, daß man auf der anderen Seite der Millionenstadt die doppelte

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