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Die Nacht der Uebergaenge

Die Nacht der Uebergaenge

Titel: Die Nacht der Uebergaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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trotzig, knallte die Bürste auf den Tisch und musste sich
wirklich zwingen, dem ganzen Zirkus nicht gleich ein Ende zu bereiten.
    Imogen legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die nackte
Schulter. Sie hatte keine Probleme damit, das Mädchen ein wenig bezüglich der
wahren Gründe ihrer Überraschung zu beschwindeln. Es war schließlich nicht ihre
Aufgabe, hier irgendetwas aufzuklären.
„Es sieht so echt aus, Wendy. Deswegen hat es Ingrid so erschreckt. Wir haben
einfach nicht damit gerechnet, dass du... auf jeden Fall werden wir deine Haare
aufstecken. Das passt sowieso am besten.“
    „Von mir aus!“ Wendy setzte sich so gerade wie möglich hin,
damit sie im Spiegel einen guten Blick auf ihre Gönnerinnen hatte. So langsam
wurde das Verhalten der beiden unheimlich. Deren Gedankenaustausch bekam sie zu
ihrem Glück nicht mit. Die Entdeckung des Tattoos hatte diese nämlich in eine
ganz bestimmte Richtung gelenkt.
     
    ° ° °
    Als sich diesmal die großen Flügeltüren des Hauptsaals für
Wendy öffneten, kündigte sie der Sprecher des Council offiziell an.
„Lady Awendela Drake, Tochter des Kriegers Jagannatha, Enkeltochter der Patrona
des Hauses Draco, Devena Thersites. Mitglied der Tri’Ora.“
    Hocherhobenen Hauptes schritt sie an dem Herold vorbei.
Gefolgt von Imogen und ihrer Großmutter, die etwas Abstand hielten, damit sich
alle Aufmerksamkeit auf Wendy richtete, die sich ganz sicher sein konnte, diese
zu haben.
Sie sah aus wie die Reinkarnation von Cinderella und der Schneekönigin. Imogen
hatte ihren Mann dazu gebracht, ein frostig glitzerndes Kleid für Wendy zu
gestalten, das im Licht der Kronleuchter und Kerzen bei jeder Bewegung so
ungewöhnlich schimmerte wie ihre Augen.
    Auf dem Kleid glänzte und funkelte so viel Diamantenstaub,
den man durch eine besondere Fixiertechnik eingearbeitet hatte, dass es dem
Flirren des Polarlichts Konkurrenz machen könnte, ohne dabei genauso
aufdringlich bunt zu sein.
Es war bodenlang, körpereng geschnitten und schulterfrei. Rechts und links
hielt eine raffinierte Schnürung die Kreation an seinem Platz und sorgte dafür,
dass die Robe nicht kitschig, sondern eher unnahbar ausfiel, da es perfekt zu
Wendys streng dreinblickenden aristokratischen Gesichtszügen passte, die man
nun, da kein schützender Haarvorhang Deckung schenkte, ganz genau bewundern
durfte. Bis auf ein paar mit Blautopasen besetzen Chandelierohrhänger trug sie
keinen weiteren Schmuck, um nicht überladen zu wirken wie ein Weihnachtsbaum.
Auf Make-Up hatte man bei ihr gänzlich verzichtet. Imogen hatte befunden, dass
es ihrer natürlichen Schönheit einfach nicht gerecht wurde.
    Es war Wendy unangenehm, auch wenn sie es sich nach außen hin
mit ihrer stolzen, aufrechten Haltung, um die Thersites sie inständig gebeten
hatte, nicht anmerken ließ. Es war Wendy peinlich, so auf dem Präsentierteller
zu stehen und sie zählte die Sekunden, bis der Spuk vorbei sein und die anderen
Gäste sich wieder um sich selbst kümmern würden. Ihr Vater war nirgends
auszumachen. Genauso wenig wie Catalina oder Chryses. Hilfesuchend ließ Wendy
den Blick schweifen, wich dabei den unbekannten, neugierigen Immaculates aus
und fand Gott sei Dank den ihres Patenonkels, der ihr wie ein rettender Anker
vorkam und auf dessen wohlwollender Zuneigung Verlass sein konnte.
    Sie musste sich zur Langsamkeit zwingen. Genau wie zur
Höflichkeit gegenüber der Devena Flavia. Wendy knickste vor ihr und vor Jackie,
dann vor Theron und Orsen, bevor sie letzterem wie ein Kind (was mit ihrer
Größe und Körperkraft gegenüber dem Krieger durchaus ein angemessener Vergleich
war) um den Hals fiel, um ihrer überschwänglichen Wiedersehensfreude ihm
gegenüber Ausdruck zu verleihen. Thersites und Imogen gesellten sich zu ihnen
und grüßten ebenfalls, wenn auch weniger förmlich, da sie als Devena
gleichgestellt oder über den Anwesenden standen.
    „Rette mich vor diesen Furien, Onkel. Sieh, was sie aus mir
gemacht haben. Ein Ausstellungsstück.“
Wendy schmiegte sich einen Moment haltsuchend an den mächtigen Bären und
versuchte das Prickeln zu ignorieren, das sie plötzlich in ihrer Nackengegend
verspürte, als hätte der ein oder andere Immaculate in ihrer Nähe sein
Augenmerk auf die deutlich sichtbare Tätowierung gerichtet. Doch das
unangenehme Gefühl blieb. Wendy löste sich aus Orsens Armen und suchte
unauffällig den oder die Urheber, fand aber niemanden, der ihr in diesem
Augenblick übermäßige Aufmerksamkeit zu

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