Die Nacht der Uebergaenge
hob resigniert den Blick, um dem Fremden ins attraktive Gesicht zu
sehen, obwohl sie ihm lieber weiterhin ausgewichen wäre. Aber sie musste für
ihre Fehler einstehen.
„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe… Ich habe etwas ziemlich Unbedachtes getan und
werde die Konsequenzen dafür auf mich nehmen. Wenn Sie mir sagen, was ich tun
muss… Ich werde jede Strafe widerspruchslos auf mich nehmen! Ich geben Ihnen
mein Wort darauf!“, schloss Nico mit bemüht klarer Stimme, weil sie bestimmt
nicht das Mitleid des Mannes erregen wollte, nur weil sie echte Reue ob ihrer
Dummheit ( ihren Dummheiten, sie waren eindeutig in
der Mehrzahl …) empfand.
Vielleicht hielt er sich nur in ihrem Zimmer auf, damit man sicher gehen
konnte, dass sie nicht weglief oder sich der verdienten Strafe entzog?
Eigentlich sollte sie vor Angst sterben, weil der Zorn des Orakels
sicher unvorstellbar grausam sein konnte, Aber was sollte schlimmer sein, als
die Verluste, die sie heute erlitten hatte? Sie hatte sich selbst am meisten
wehgetan. Sie konnte sich scheinbar noch so viel Mühe geben, wie sie wollte,
innerlich schien sie mit einem Makel - oder war es ein entsetzlicher Fluch? -
behaftet zu sein, den sie sich nur mit ihrer befleckten Abstammung erklären
konnte. Sie musste sich einfach mehr anstrengen, gegen diese Schwäche
anzugehen.
Sie war bisher davon überzeugt gewesen, ein stiller und sich ruhender Mensch zu
sein, doch die Macht, mit der sie in den letzten Tagen
impulsiv-leidenschaftliche Anwandlungen überkommen hatten, strafte dieses Bild
von sich Lügen. Lag es daran, dass ihr wahres Wesen erst zutage trat, nachdem
sie Kontakt mit den Immaculate pflegte? Was, wenn diese Impulse stärker wurden?
Ihr gesamtes Wesen schien seine Fühler auszustrecken und Dinge in sich
aufnehmen zu wollen, deren Handhabung sie restlos zu überfordern schien.
Nico wurde immer nervöser, je länger das Schweigen anhielt. Warum sagte
der Mann nicht etwas?
Ihre Lippen teilten sich in einem atemlosen Aufseufzen, doch sie wagte nicht
mehr zu sprechen. In den flackernden Schatten erschien sein Antlitz makellos
und unbewegt. Sie konnte ihn nicht einschätzen und in ihren Blick schlich sich
ein bittender Ausdruck, den sie nicht zu unterdrücken vermochte. Ein harsches
Wort von ihm und sie würde wohl in Tränen ausbrechen, was ihm bestimmt nur
unangenehm berühren würde, wenn er in offizieller Funktion hier war.
„Ich bin nicht hier, um Sie zu bestrafen, Miss D' Amores. In der Tat,
ich habe Ihnen geholfen und Ihre Wunden geheilt, aber das ist auch schon alles.
Ich hätte eigentlich nicht mehr hier sein sollen, wenn Sie aufwachen. Sie haben
das Recht auf eine Privatsphäre. Allerdings dachte ich, Sie sollten unter den
gegebenen Umständen nicht allein sein. Ich bin Lord Aubrey. Nennen Sie mich
Blake, wenn Ihnen das nicht zu vertraulich ist.“
Nico blinzelte ungläubig, dass ein völlig Fremder sich dazu veranlasst
gesehen hatte, ihr zu helfen. Ein zögerliches Lächeln stahl sich auf ihre
Lippen, weil sie aus dieser großherzigen Geste ein wenig Trost zog. Er machte
ihr keine Vorwürfe, was sie sehr erleichterte. Sie machte sich selbst schon
genug.
Lord Aubrey… Blake…
Unter anderen Umständen hätte sie ihm Fragen nach seinem langen Leben gestellt.
Vielleicht neigte sie etwas zu sehr zu romantischen Träumereien, aber sie war
seit frühester Kindheit mit dem schlimmsten Leid konfrontiert gewesen, dass sie
einen kleinen Ausgleich brauchte, um weiterhin an das Gute in der Welt zu
glauben. Natürlich wusste sie, dass das Leben vor einigen Hundert Jahren
bestimmt kein Zuckerschlecken gewesen war, wenn man beispielsweise als
Dienstmädchen arbeitete, aber es musste auch schöne Seiten daran geben.
Wie sonst hätte sie die vielen Treffen mit misshandelten Kindern oder
gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen verkraften sollen? Sollten sie die
anderen doch als verträumt betrachten oder als kleines Mädchen. Sie wusste nur
zu gut, dass sie das nicht war. Nico wollte einfach nicht, dass die Dunkelheit
ihr Leben beherrschte, sie tat alles, um immer ein kleines Licht darin zu
sehen, sonst würde sie endgültig unter ihrer Bürde verzweifeln.
Warum konnten das die anderen einfach nicht verstehen? Es gab schon so viel
Leid auf der Welt, sie brauchte einfach ein wenig Wärme darin und verteilte
sie, wann immer sie Gelegenheit dazu hatte. In der Regel bekam man etwas
zurück, doch manchmal verlor man eben, es war nicht das erste Mal.
Aubrey nahm eine etwas
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