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Die Nacht der Uebergaenge

Die Nacht der Uebergaenge

Titel: Die Nacht der Uebergaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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hinterlassen, doch niemals so rasend schnell. Es konnten keine
Tage vergangen sein, auch wenn ihr Zeitgefühl gerade durcheinander geraten war.
Sie hob den fragenden Blick zu dem Mann an, der völlig still in dem Stuhl saß
und sie aus unergründlichen Augen musterte.
    Dieser Duft… Süß und schwer…Berauschend…
Geister hatten keinen solchen Eigengeruch, selbst wenn es sich dabei um
Immaculate handelte…
    Nico streckte ihm die Handfläche zögernd entgegen und suchte direkten
Blickkontakt, obwohl ihr Herz dabei aufgeregt in ihrer Brust flatterte.
„Sie sind kein Geist… Sie haben meine Wunden geheilt… Und mich zurück auf mein
Zimmer gebracht?“, fragte sie unsicher und sah sich in dem Zimmer um, wie um
sich zu vergewissern, dass sie sich nicht auch noch in ihrem jetzigen
Aufenthaltsort geirrt hatte.
Nein, es war ihr Zimmer, dort lag die Stofftasche auf dem Boden, aus der sie
den Dolch hervor gekramt hatte. Hätte sie die Fähigkeit zu erröten, dann wäre
sie wohl gerade von Kopf bis Fuß blutrot angelaufen. Der plötzliche Wechsel der
Hauttemperatur verriet es ihr, als hätte sich der brodelnde Kern in ihrem
Inneren aufgelöst, um an jedes Nervenende ihrer Haut einen glühenden Punkt zu
schicken.
     
    Als sie ihn das erste Mal bewusst wahrnahm, kam es Blake vor als läge
Erkennen in ihrem Blick. Jedenfalls schrak sie nicht überrascht oder ängstlich
zusammen, wie er es von ihr erwartet hatte. Sie sah ihn an, als hätte sie mit
ihm gerechnet. Oder auch nicht, da ihr seine Anwesenheit irgendwie nicht genug
zu sein schien.
Hätte er gehen sollen? Aubreys Gedanken rotteten sich zu einem dicken
Fragezeichen hinter seiner unbewegten Stirn zusammen. Eigentlich hatte er sie
nicht erschrecken wollen und nun bemühte sich Nico um den umgekehrten Fall. Für
was hielt sie ihn?
Aubrey wusste nicht um jede Fähigkeit Nicos. Im Gegensatz zu Imogen unterhielt
er sich nur wenig mit seinem Sohn und dann meistens in einem Streitgespräch. Da
er mit Imogen eine offene Ehe führte, hatte es über die Jahre hinweg genügend
Zündstoff in allen Bereichen gegeben. Damon eiferte ihr nach. Aubrey durfte
kein Vorbild sein, obwohl er seinem Sohn ziemlich oft, wenn auch nur indirekt,
zu verstehen gegeben hatte, dass er dessen Mutter niemals betrog oder die
Freiheiten seines Standes an ihrer Seite ausnutzte.
Ein Geist? Nein, wohl kaum. Mit Leichtigkeit könnte er ihr das Gegenteil
beweisen. Aubrey wollte sich schon vorbeugen, um ihre ausgestreckte Hand mit
den Spitzen seiner Finger zu berühren, doch ihn traf unvermittelt eine
Vorahnung, die ihn immer noch wie eine Statue verharren ließ. Er sah im Geiste,
was passieren würde, wenn sie sich berührten. Es kam ihm vor, als träfe ihn ein
kleiner, knisternder Schlag. Er hatte nicht vergessen, wie sehr ihr Blut auf
seiner Zunge geprickelt und welche Begeisterung in seinem Inneren bei ihrem
unvergleichlichen Geschmack ausgebrochen war. Ihr zuliebe musste er an sich
halten. Sie hatte die Wirkung einer Droge, von der man immer mehr wollte, wenn
man einmal von ihr gekostet hatte. Das wusste sie scheinbar nicht. Sein
Auftreten würde sie vollkommen überfordern, wenn sie tatsächlich so mädchenhaft
in ihrem Denken war, wie sie auf ihn wirkte.
     
    Nico senkte beschämt den Blick, dass ein ihr völlig Fremder sich dazu
gezwungen gesehen hatte, helfend einzugreifen. Sie kannte den Mann überhaupt
nicht. Eine Lost Soul konnte er nicht sein… Sie wagte es sich nicht
vorzustellen, was er über sie denken mochte. Wenn er gerade zu Gast im Castle
weilte, dann konnte das nur bedeuten, dass er zu den mächtigsten Immaculate
zählte und genau wusste, wer sie war. Er war wohl jemand, den sie mit ihrem
Verhalten sicher vor den Kopf gestoßen hatte, weil sie sich angemaßt hatte, den
Altar der Immaculate zu benutzen. Vielleicht ein Wächter?
Nico wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie tat sonst nie Dinge, die gegen
Gesetze oder Regeln verstießen. Es wäre ihr auch sehr töricht vorgekommen, ihre
Unwissenheit als Entschuldigung vorzuschieben. Wäre sie klarer im Kopf gewesen,
hätte sie wohl nicht einfach eine solch mächtige Insignie wie den Altar für ihr
kleines Opfer benutzt. Aber ihr Unglück war auch keine annehmbare
Entschuldigung für ihr Fehlverhalten. Sie hatte zwar keine eigene Gemeinde
mehr, das bedeutete aber nicht, dass sie nicht für andere als ein gutes
Beispiel vorangehen sollte. Wenn Catalina davon erfuhr, dann würde sie sich
bestimmt aufregen und enttäuscht von ihr sein.
    Nico

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