Die Nacht der Uebergaenge
Auch
dieser löste sich binnen Sekunden in Luft auf. Nun war es nur noch ihr
verunstalteter Kopf und der blutbesudelte Schlafanzug, der an das Drama im
Altarsaal erinnerte.
Blake zog die Decke vorsichtig unter ihrem kleinen, in seiner Blässe und
ihrer Ohnmacht sehr zerbrechlich wirkenden Körper hervor und deckte sie damit
fürsorglich zu. Wenn sie Glück hatte, würde die Ohnmacht in einen Schlaf
übergehen.
Er zog sich den Stuhl ans Bett, auf dem das Kleid gelegen hatte, das nun bis
auf einen Ascherest in den Kaminflammen verbrannt war und einen hässlichen
Polyestergeruch im Raum verursacht hatte, der bald verfliegen und den letzten
Hauch von seinem Sohn mit sich nehmen würde.
Da Imogen ihm ja gesagt hatte, sie würde ihn heute Nacht nicht brauchen, konnte
er hier bleiben und über den Schlaf des Mädchens wachen. Er würde nicht mehr
zulassen, dass man ihr Leid zufügte. Damon würde ihr nicht mehr zu nahe kommen
und seine Spielchen mit ihr treiben.
Oh, wie sehr wünschte er sich, an ihr noch
eine winzig kleine Wunde zu entdecken, die er heilen konnte. Nur eine winzig,
winzig kleine.
Zimt, Eisen, Pflaume und der Geruch des verlöschenden Feuers schrumpften zu
einem unbedeutenden Nichts in sich zusammen. Dafür roch es jetzt im ganzen
Zimmer nach süßem, persischem Flieder.
Nico hörte bedrohlich wispernde Stimmen, die die Ruhe ihres Schlafes
störten, sie erinnerten sie an das Gezischel von wilden Tieren, die gutturale
Lauten von sich gaben, wenn sie sich über ihre Beute hermachten. Die Ohnmacht
hatte die Auswirkungen der Vision von ihrem Bewusstsein fern gehalten, doch ihr
Schlaf war nicht tief genug, um sich jetzt weiter dagegen zu schützen. Nico
verstand immer noch nicht, was sie gesehen hatte. Sie war nicht in der Absicht
in den Altarraum gegangen, etwas zu sehen. Bevor sie sich Visionen hingab, bereitete
sich Nico immer sehr sorgfältig darauf vor. Wenn ihr Gemüt in Aufruhr war,
konnte sie sich einfach nicht genug gegen die Eindrücke abschirmen.
Ihr Vater hatte stets dafür gesorgt, dass sie nur in Trance fiel, wenn sie
stark genug war, den Zustand auch zu ertragen. Die Bilder kamen auch so viel zu
leicht zu ihr, sie musste dafür sorgen, sich nicht im Alltag davon überfallen
zu werden.
Ihr Schlaf wurde unruhig und sie drehte sich unter der wärmenden Decke,
um dann die Augen flatternd aufzuschlagen. Sie verstand zuerst nicht, wo sie
war. Es lag ein wunderbar tröstender Duft in der Luft, den Nico tief in sich
einsog. Einatmen... Ausatmen... Ganz langsam und
konzentriert... Er vermittelte irgendwie, sich in einem verzauberten Garten aufzuhalten
fern von allen Bedrohungen. Im Zimmer war es halbdunkel, sie lag in einem Bett
und nicht auf kaltem, unnachgiebigen Granit.
War alles nur ein böser Traum gewesen und sie
würde in Sicherheit aufwachen? Zuhause bei Babu?
Nicos Hoffnungen zerschlugen sich in tausend klirrende Scherben, als ihr klar
wurde, dass sie in dem Zimmer lag, das man ihr im Castle zugeteilt hatte. Alle
Erinnerungen kehrten zurück und prasselten auf ihre wehrlose Seele wie
Regentropfen aus Säure, die ihr Inneres zu zerfressen drohten. Sie zog die Hand
unter der Decke hervor und griff sich an den Kopf, um sich davon zu überzeugen,
dass sie das Opfer wirklich gebracht hatte. Heiße Tränen schossen in ihre
Augen, doch sie blinzelte energisch, um ihnen nicht nachzugeben. Sie hatte
diese Strafe verdient.
Sie wachte auf. Aubrey blieb vollkommen unbeweglich auf seinem Stuhl vor
dem Bett sitzen und beobachtete sie. Das tat er schon die ganze Zeit. Nun
allerdings überlegte er, ob er sich wieder in ihre Gedanken linken sollte, um
herauszufinden, was genau ihr passiert war. Laut und auffordernd genug war das
Chaos in ihrem hübschen Kopf auf jeden Fall. Doch er ließ es bleiben. Er könnte
mit dem Heilen ihrer äußerlichen Wunden für einen Fremden schon zu viel getan
haben. Sie sollte sich bei vollem Bewusstsein nicht fühlen, als wollte er ihr
zu nahe treten.
Als sie halbwach die Augen öffnete, wusste sie nicht genau wo sie war. In einem
fremden Zimmer in einem fremden Haus mit einem fremden Mann.
Aubrey blieb weiterhin stumm. Lediglich ein kleines Aufleuchten seiner blauen
Augen deutete daraufhin, dass ihm keineswegs entging, wie sie das Aroma
verblühenden Flieders, der dank des immer noch offen stehenden Fensters bereits
schwächer wurde, einatmete und sichtbar entspannte, obwohl sie ihn immer noch
nicht bemerkt hatte.
Dann aber wurde ihr nur zu bewusst, wo sie war und
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