Die Nacht der Uebergaenge
dunkles Haar… sehr, sehr hübsch… und dunkle Augen… so
voller Kummer, weil sie ganz allein ohne den Vater ihres Kindes ist.)
Shane war es, als träfe ihn ein Schlag in die Magengrube und
seine plötzlich schwachen Finger ließen die Schale fallen, die mit einem
dumpfen Klappern auf den Holzboden fiel und das Wasser in alle Richtungen
spritzen ließ. Die Blüte klebte wie ein verendetes Insekt auf dem Boden.
„ Oh, my God! She is pregnant?! How do you
know? How is that possible?! ”, entfuhr es Shane mit einem ungläubigen
Aufkeuchen. (Oh, mein Gott! Sie ist schwanger?! Woher weißt Du das? Wie ist das
möglich?!)
Upper Eastside und die Bronx passten irgendwie nicht zusammen
und trotzdem hatte er sich in Carrie verliebt. Ihm war es egal, dass sie nicht
auf eine Privatschule ging oder sich keine teuren Klamotten leisten konnte.
Er war so ein Idiot! Shane hatte sie allein zurückgelassen, nachdem sie
zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Carrie wollte warten, und er
hatte es verstanden, aber nachdem er für über ein halbes Jahr wegfahren würde,
hatten sie es sich anders überlegt.
° ° °
Zwei Tage später hatte er seine Koffer gepackt und war von
einem Mönch in den nächsten Ort begleitet worden. Selbst wenn er nicht an
Übersinnliches glaubte, so hatte er Carrie King gegenüber nie erwähnt. Allein
der Ausdruck auf dem Gesicht seines kleinen Freundes ließ ihn handeln.
Es war alles weitergelaufen wie bisher, keine Änderung des Tagesablaufs, doch
innerlich zerfraß ihn die Sorge um seine Freundin und die Angst vor dem
Abschied. Vor der Verantwortung fürchtete er sich nicht. Wenn er das hier durch
gestanden hatte, dann würde er sich auch Carries und seiner Familie stellen
können. In seinem Herzen war kein Platz für Zweifel.
Der Mönch drängte ihn, sich zu beeilen, weil der Abstieg bei
Schnee beschwerlich und gefährlich war. Kein Zeichen von King, der ihm gestern
einfach nur gute Nacht gewünscht hatte, als wäre der heutige Tag wie jeder
andere zuvor.
Sein warmer Atem bildete kleine Wölkchen in der kalten Morgenluft und seine
Augen brannten. Ein letzter Blick zurück und sein Herz blieb beinahe stehen.
King war auf einen der höchsten Türme geklettert und wedelte mit einer
ausholenden Bewegungen seines rechten Armes mit der Baseballmütze, die Shane
ihm geschenkt hatte, weil der Kleine so fasziniert davon gewesen war.
Shane hob ebenfalls die Hand und verstand auf einmal, warum King keinen
richtigen Abschied gewollt hatte. Das hier musste ihm viel mehr wehtun als ihm.
Er fuhr schließlich nach Hause zu seiner Familie. King würde hier niemanden
haben, der wirklich zu ihm gehörte.
I wish I could take you with me! Shane wischte sich die Tränen von den Wangen, ohne sich dafür zu
schämen. Langsam ließ er die Hand sinken und drehte sich von seinem Freund weg,
der ihm nicht nur die Lehre des Kung Fu näher gebracht hatte.
(Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen!)
King blieb zusammen gekauert auf der Spitze des Turms sitzen
und starrte Shane mit tränenverhangenen Augen nach, die schließlich überliefen.
Er verlor Vater, Bruder, Freund und Lehrer auf einmal. Die Erkenntnis traf ihn
schlimmer als jeder Schlag, den er jemals eingesteckt hatte. Durch Shane hatte
er erst gelernt, was es bedeutete, sich jemandem nah zu fühlen.
Vertrauen, Freundschaft, Liebe ..., wo zuvor er zuvor nur tägliches
Nebeneinander gekannt hatte.
Mit einer müden Geste setze King die Mütze auf seinen kahlen
Kopf auf und starrte weiterhin auf die sich entfernende Gestalt, bis er sie
nicht mehr erkennen konnte, weil der kleine Punkt vor seinen Augen verschwand.
Er griff in die Falten des bodenlagen Gewandes, das ihn nicht vom Klettern
abgehalten hatte, und holte die Blüte heraus, die Shane ihm in die Schale
gelegt hatte. Die Blätter flatterten in der kalten Brise und King hob die Hand,
um die Blüte auf der flachen Hand ruhen zu lassen. Roter Klatschmohn. Er konnte
das allerdings nicht sehen, nur die besondere Form der Blätter verriet ihm die
Spezies. Die Blüte wurde von einer heftigen Böe erfasst und in die Lüfte
gerissen, wo sie wie ein flatternder Schmetterling davon schwebte. Ein letzter Abschiedsgruß.
I wish I could go with you! Vielleicht, eines Tages… Wenn er alt genug war, dann konnte er
möglicherweise über den großen Teich segeln und ihn besuchen, Bis dahin mussten
die Erinnerungen genügen.
(Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen!)
Sonntag, 01. Juli; China Town, spät in der
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