Die Nacht der Uebergaenge
sehen können
oder sollen. Das war nicht ohne Grund passiert. Diese Frauen mussten eine
besondere Bedeutung haben.
Sollte er sich vielleicht auf die Suche nach ihnen machen?
Der grübelnde Mann lehnte sich an den Tresen hinter sich,
nachdem er seine langen Haare mit einer Hand über die rechte Schulter gezogen
hatte, damit er sie nicht einklemmte. Der Mond beschien nun seinen
durchtrainierten Rücken, auf dem man die Zeichnung einer goldenen Königskobra bewundern
konnte, deren rote Augen angriffslustig zu funkeln schienen.
„ Chúndù …“, murmelte er geistesabwesend und starrte
hinauf zur Decke, als könnte er dort mit seinen besonderen Augen etwas erkennen,
dann riss er sie weit auf und stützte sich mit beiden Händen am Tresen ab, als
ihn die Einsicht wie ein Schlag gegen den Kopf traf.
Er hatte das alles mit den Augen der Frau gesehen! In Farbe ,
als würde er über die gewöhnliche Sehkraft eines Normalsterblichen verfügen.
Warum war ihm das nicht gleich bewusst geworden?
Er nahm ein paar tiefe Atemzüge, um das aufgeregte Klopfen seines Herzens zu
beruhigen. Er fühlte sich gerade wie ein Lahmer, der völlig unbewusst der
außergewöhnlichen Tatsache einen Marathonlauf absolviert hatte. Fassungslos
schüttelte er den Kopf und versuchte, einen Sinn darin zu finden, mit dieser
Frau verbunden gewesen zu sein.
Er fand trotz längeren Nachgrübelns keinen Hinweis, dem er
folgen könnte. Er hatte sich nicht in der wirklichen Welt aufgehalten, hatte
alles mit ihren Augen gesehen. Als die ersten Sonnenstrahlen seinen
Rücken kitzelten, stieß sich der Mann mit einer flüssigen Bewegung vom Tresen
ab und begab sich langsamen Schrittes zu seinem Schlafbereich, wo er sich auf
das Futon gleiten ließ, um seinem Körper die nötige Ruhe zu gönnen. Sein Geist
reiste noch in anderen Gefilden, bis die Sonnenstrahlen das Zimmer fluteten,
doch der schwarze Stoff des Paravents hielt das meiste Licht von ihm ab.
Irgendwann gab er auf und fiel in einen traumlosen Schlaf, weil es sowieso
nicht in seiner Macht zu stehen schien, den Weg zu ihr zu finden.
Manchmal musste man warten, bis das Schicksal zu einem kam…
8. Irrungen und Wirrungen
Dienstag, 03. Juli; morgens
Es war ein niederschmetternder Anblick gewesen, als der
winzige Sarg aus einfachstem Holz in die züngelnden Flammen des Ofens geglitten
war. Nico hätte gerne ein aufwendigeres Begräbnis bezahlt, doch Mo Assanti
hatte abgelehnt, weil er nicht so tief in ihrer Schuld stehen wollte, dass er
sie nie abbezahlen würde können. Ihr war das Geld völlig gleichgültig, weil es
für sie nicht mehr von Bedeutung war. Ihre Wünsche waren mit keinem Geld der
Welt zu bezahlen, aber sie verstand, dass der Mann sich wenigstens seinen Stolz
bewahren wollte.
Nico hatte Taneesha und ihre Mutter nach ihrer Vision am
Sonntag im Altarraum gesehen. Die beiden waren nun im Tod vereint. Das kleine
Mädchen hatte eine Lungenentzündung bekommen und war anschließend kollabiert.
Sie war vielleicht schon vorher krank gewesen, das konnte niemand genau sagen,
da ihre Mutter sie nicht zu Vorsorgeuntersuchungen gebracht hatte. Trotzdem
wünschte sich Nico, sie wäre bei dem kleinen Mädchen gewesen, als es passiert
war, anstatt sich in Damons Arme zu werfen.
Es war erst kurz vor neun und Nico wanderte seit einer Stunde
ziellos durch die Stadt, nachdem sie dem Begräbnis beigewohnt hatte, bei dem
nur sie und der Onkel zugegen gewesen waren. Sie hatte kein Ziel, weil sie
keine Arbeit mehr hatte, wo man auf ihr Erscheinen wartete. Sie hatte gestern
ihre Kündigung eingereicht und war gleich frei gestellt worden, da sie sowieso
nur befristet angestellt gewesen war. Es war nicht einmal ein besonders
trauriger Abschied gewesen, da sie gleich von der Personalabteilung nach Hause
gegangen war.
Das Begräbnisinstitut hatte die karge Zeremonie außerhalb der
Geschäftszeiten am frühen Morgen abgehalten, so dass der Endpreis noch einmal
günstiger ausfiel. Sie hatte nichts gegen die frühe Stunde gehabt, weil sie
sowieso schlecht schlief. Trotz ihres Entschlusses, Damon völlig aus ihren
Gedanken zu verbannen, konnte sie nichts dagegen tun, dass sich ihr
Unterbewusstsein mit ihm beschäftigte. Zudem fürchtete sie die zukünftige
Zusammenarbeit, die sich ganz sicher in den nächsten Tagen ergeben würde.
- Nico… So solltest Du deinen Geburtstag nicht verbringen! -
Mélusina machte sich Sorgen um ihre Schutzbefohlene, die ihre
bemühte Fassade nur aufrechterhielt, solange
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