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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Eigentum betrachtete, war ein noch hemmungsloserer Vergewaltiger geworden, der nicht einmal vor kleinen Mädchen haltmachte. Nach drei Morden war es ihm wahrscheinlich egal, welche Straftaten er beging, und wahrscheinlich wusste er auch, dass man ihn für ein Verbrechen an Indianern sowieso nicht zur Verantwortung ziehen würde. Indianer waren keine vollwertigen Menschen, nach dem Gesetz jedenfalls, das man auch nach den Friedensverträgen nicht geändert hatte.
    Fort St. Michael war eine Ansammlung von zweistöckigen Holzhäusern rund um einen großen Paradeplatz. Woher die Soldaten das Holz für die Häuser hatten, wussten sie nicht, im weiten Umkreis gab es keinen einzigen Baum. Ein Sternenbanner flatterte im Wind, und sie beobachteten, wie sich einige Männer auf Skiern neugierig nach ihnen umdrehten, als Clarissa den Schlitten vor dem Haus des kommandierenden Offiziers anhielt. Sie rammte den Anker in den Schnee, half Dolly vom Schlitten und betrat die hölzerne Veranda, die sich vor dem Haus in den Schnee erstreckte. Ein Soldat öffnete ihnen und salutierte, als wäre er ihr Untergebener. Sie lachten beide.
    »Vor uns brauchen Sie nicht zu salutieren, Soldat«, sagte Clarissa und amüsierte sich über sein erstauntes Gesicht, als er erkannte, dass er zwei Frauen vor sich hatte. »Aber es wäre freundlich von Ihnen, wenn Sie uns zu Ihrem kommandierenden Offizier führen würden. Was sind Sie … Corporal?«
    »Corporal … Yes, Ma’am.«
    »Also bitte, Corporal!«
    Der Soldat salutierte wieder, offenbar ein Reflex bei ihm, und klopfte an die Tür zum Büro des Captains. Abermals schlug er die Hacken zusammen und legte die rechte Hand an seine Mütze, als er seinem Kommandanten gegenüberstand. »Zwei Damen würden Sie gerne sprechen, Captain«, hörten sie ihn durch die angelehnte Tür sagen. »Richtig, Sir … Captain, Sir … zwei Damen.«
    »Dann schicken Sie die Damen rein, Corporal.«
    Der Soldat kehrte zurück, verkniff sich diesmal einen Gruß und bat Clarissa und Dolly ins Büro. Sie hatten inzwischen ihre Mützen und Handschuhe ausgezogen, konnten aber nicht verhindern, dass die Bullenhitze, die von dem großen Ofen in seinem Raum ausging, den Schnee von ihren Anoraks und Hosen schmolz und als Wasserlachen auf dem Boden hinterließ.
    »Captain James T. Brooks«, stellte sich der Offizier vor, ein »Paradexemplar seiner Zunft«, wie sich Dolly später ausdrücken würde, groß und kräftig, mit kantigem Gesicht, stahlblauen Augen und einem buschigen Schnurrbart über den spröden Lippen. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Lady in dieser Einöde begrüßt zu haben.« Er erhob sich. »Aber setzen Sie sich doch.«
    Sie setzten sich auf die beiden Besucherstühle und nickten dankbar, als der Corporal zwei Becher mit Kaffee, ein Kännchen Dosenmilch und eine Dose mit Würfelzucker brachte. Anscheinend legte man in Fort St. Michael großen Wert auf Höflichkeit. Der Kaffee war etwas stark für ihren Geschmack, weckte aber ihre Lebensgeister und vertrieb die Kälte aus ihren Körpern.
    »Verzeihen Sie«, fuhr der Captain fort, nachdem sie von dem Kaffee gekostet hatten, »Sie sehen mich einigermaßen erstaunt. Was tun zwei hübsche Ladys wie Sie in dieser Wildnis? Oder sollte inzwischen auch die Damenwelt vom Goldrausch befallen sein? Und wenn, wären Sie doch sicher erst im Frühjahr mit dem Dampfer gekommen. Stillen Sie meine Neugier, Ladys.«
    »Ich suche meinen Mann«, begann Clarissa ohne Umschweife. »Sein Name ist Alex Carmack. Ein Fallensteller. Ist er zufällig hier vorbeigekommen?« Sie beschrieb ihn, so genau es ging. »Es könnte sein, dass er nach Nome wollte. Vielleicht haben Sie oder einer Ihrer Soldaten ihn gesehen?«
    »Wollte er auch auf die Goldfelder?« Der Captain verkniff sich nur mühsam ein Grinsen. »Ich nehme doch nicht an, dass er Ihnen weggelaufen ist. Es wäre eine ziemliche Dummheit, eine hübsche Frau wie Sie allein zu lassen.«
    Clarissa hatte nicht vor, ihm die ganze Wahrheit zu schildern. »Ganz im Gegenteil, Captain. Er ist weggelaufen, weil … aber das spielt auch keine Rolle. Ich möchte nur wissen, ob Sie ihn gesehen haben. Haben Sie, Captain?«
    »Wissen Sie, wie viele Leute hier während der letzten sechs Monate durchkamen?«, antwortete er wieder mit einer Gegenfrage. »Wir hätten viel zu tun, wenn wir von jedem Einzelnen den Namen notieren würden. Ins Fort kommen sowieso nur die wenigsten. Die meisten wollen so schnell wie möglich zu den Goldfeldern.« Er

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