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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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wichtig?« Dolly stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Schicken Sie wenigstens Ihren Arzt in das Dorf. Bis die Krankenschwester aus Nome in dem Dorf vorbeikommt, vergehen doch Monate … oder Jahre! Schicken Sie Ihren Arzt hin! Er soll das Mädchen wenigstens mal gründlich untersuchen.«
    »Wie gesagt, mir sind die Hände gebunden.«
    »Und wenn er an seinem freien Tag hinfährt?«
    »Da müssen Sie ihn schon selbst fragen.«
    Der Arzt, ein erfahrener Mann, der auf so manchem Schlachtfeld gedient hatte, wohnte im Nachbarhaus und war gerade mit Büroarbeit beschäftigt. Als er Clarissa und Dolly zur Tür hereinkommen sah, blickte er sie genauso sprachlos wie der Captain an. Er stand auf und stammelte: »Wa-was …«
    Weiter ließ ihn Dolly nicht kommen. »Das ist Clarissa Carmack, und ich bin Dolly Kinkaid«, hielt sie sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. »Wir sind hier, um Sie um einen Gefallen zu bitten. In dem Indianerdorf bei der großen Biegung des Yukon wurde ein Mädchen vergewaltigt. Der Täter, ein mehrfacher Mörder, ist wahrscheinlich nach Nome geflohen. Dem Mädchen geht es sehr schlecht. Wir haben ihr Schmerzpulver dagelassen, aber es ist dringend notwendig, dass sie ein Arzt untersucht. Sie werden an Ihrem freien Tag dorthin fahren und die kleine Caroline verarzten. Ihr Captain weiß Bescheid. Ein Nein akzeptieren wir nicht.« Sie griff in ihre Anoraktasche und reichte ihm einen kleinen Goldnugget. »Ich nehme an, das ist mehr, als Sie von der Armee in einem Monat kassieren. Können wir uns auf Sie verlassen, Doktor?«
    »Sie lassen mir wohl keine andere Wahl.«
    »So ist es, Doktor«, erwiderte Dolly. »Und kommen Sie nicht auf die Idee, uns zu hintergehen! Wir können ziemlich böse werden, nicht wahr, Clarissa?«
    »Ganz recht«, bestätigte Clarissa.
    Sie ließen den verdutzten Arzt in seinem Büro zurück und gingen zu ihrem Schlitten. Nicht nur ihre, auch die Huskys im Fort begrüßten sie mit einem lauten Jaulkonzert, als wüssten sie von ihrer Begegnung mit dem Arzt und würden sich darüber lustig machen. Am Fenster der Kommandantur sahen sie den Captain stehen und neugierig zu ihnen herausblicken. Einige Soldaten, die wohl gerade lernten, sich auf Skiern zu bewegen, starrten sie ebenfalls neugierig an.
    »Dem hast du’s aber ordentlich gegeben«, staunte Clarissa.
    »Du warst aber auch nicht schlecht«, erwiderte Dolly.
    Sie stiegen auf den Schlitten und fuhren auf den Trail zurück. Es war bereits Mittag, und durch die Wolkendecke im Osten schimmerte trübes Tageslicht. Über ihnen zeigten sich die Wolken dunkel und abweisend. Der Trail führte an der Küste des Norton Sound entlang, einer riesigen Bucht, die wegen ihrer gefährlichen Wetterverhältnisse gefürchtet war. Alex und sie kannten einen Fallensteller, der einige Zeit in einem der Inuit-Dörfer gelebt hatte und sogar von Eingeborenen erzählte, die sich während des gefürchteten Eisnebels auf dem Eis verirrt hatten und niemals wieder nach Hause zurückgekehrt waren. Es war besser, das tückische Eis der Bucht zu meiden und den Umweg über Land zu nehmen, auch wenn man dadurch einige Stunden verlor. Dort war es ungemütlich genug. Weil in der Tundra keine Bäume wuchsen und das kniehohe Gestrüpp unter einer Schneedecke verborgen lag, konnte sich der Wind frei entfalten und blies ungehindert über die verschneiten Ebenen.
    Im Augenblick kam er von Norden, und Clarissa musste sich weit nach vorn beugen, um nicht vom Trittbrett geweht zu werden. Dolly hielt sich mit beiden Händen am Schlitten fest und fluchte alle paar Minuten. Die Huskys stemmten sich mit aller Kraft gegen den Wind und wurden so manches Mal durch die Wucht eines Windstoßes vom Trail getrieben. Der Captain schüttelte sicher jetzt noch den Kopf darüber, dass sich zwei Frauen auf so ein Abenteuer einließen. Clarissa wunderte sich selbst, sie wurde lediglich durch die Hoffnung angetrieben, Alex doch noch lebend vorzufinden.
    In einer windgeschützten Senke hielt Clarissa so plötzlich an, dass Dolly beinahe vom Schlitten geflogen wäre. Ungefähr hundert Schritte vor ihr leuchteten die gelben Wolfsaugen in der Dunkelheit, unheimlich glühende Augenpaare, die sie anscheinend an der Weiterfahrt hindern wollten. Leises Knurren drang zu ihr herüber, nicht feindselig, aber so eindringlich, dass sie keine Möglichkeit sah, sich ihnen zu widersetzen. »Whoaa!«, hielt sie die Huskys zurück, die nervös zur Seite drängten, als sie die Wölfe witterten.
    »Was hast

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