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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Hintertür?«
    »Nun mal langsam, junge Frau!« Die Wahrsagerin hatte ihren osteuropäischen Akzent abgelegt. »Wenn Sie einen der Betrunkenen meinen, die schon am frühen Morgen vor dem Saloon rumhängen, kann ich Sie beruhigen, die sind meist vollkommen harmlos. Und wenn Sie von einem aufgebrachten Gatten verfolgt werden, weil Sie einem anderen schöne Augen gemacht haben … Aber lassen Sie mich erstmal in meine Kristallkugel sehen, dann kann ich Ihnen Näheres sagen. Sie haben genug Geld dabei? Dann geben Sie …«
    »Ich werde verfolgt!«, schnitt Clarissa der Frau das Wort ab. »Von einem Mörder!« Sie blickte sich verzweifelt um. »Ich verstecke mich hinter einem der Vorhänge, okay? Ich bezahle Sie auch, nur verraten Sie mich bitte nicht!«
    Clarissa schob sich hinter einen der weißen Vorhänge und blieb zitternd stehen, jeden Moment rechnete sie damit, dass Frank Whittler ihr Versteck erriet und bei der Wahrsagerin auftauchte.
    »Sie können doch nicht …«, begann die Wahrsagerin und sprang auf, nur um sich gleich wieder stöhnend auf ihren Stuhl fallen zu lassen. »Hey …, Sie meinen es tatsächlich ernst, nicht wahr? Ein Mörder, sagen Sie? Ein richtiger Mörder? Warum gehen Sie denn nicht zum Marshal? Wenn er wirklich jemanden ermordet hat, muss der Marshal ihn festnehmen und ins Gefängnis sperren!« Sie blickte in ihre Kristallkugel und sagte mit einem Akzent, der eher an die Hafengegend von San Francisco erinnerte: »Verdammt, ich sehe nichts! Sind Sie sicher, dass der Mörder hinter Ihnen her ist? Warum denn?«
    Clarissa kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten, denn im gleichen Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Frank Whittler rief: »Haben Sie eine Frau gesehen? Wie ein Fallensteller gekleidet, dunkle Haare? Wenn ja, hat sie Ihnen wahrscheinlich einen Bären aufgebunden, ein Mörder wäre hinter ihr her oder so. Die Arme hat leider den Verstand verloren, und ich soll sie dringend zum Doktor zurückbringen. Also … Haben Sie die Frau gesehen?«
    Die Wahrsagerin wurde wieder zu Cosima und spielte ihre Rolle perfekt. Mit ihrer dunklen, für Kunden reservierten Stimme erwiderte sie: »Solange ich hinter meiner Kugel sitze, habe ich noch nie eine Frau hier gesehen. Oder meinen Sie, eine Frau interessiert sich für meinen tiefen Ausschnitt? Und verrückt sind sie hier alle, oder warum sind Sie in einer Stadt, in der es selbst tagsüber dunkel ist und die Kälte einem bis in den Hintern dringt, während in Kalifornien die Orangen blühen? Ich bin hier, weil ich im Licht dieser bunten Lampions wesentlich besser aussehe als am helllichten Tag. Und Sie, Mister?«
    »Das geht Sie gar nichts an! Wo steckt die Frau?«
    »Hier ist sie jedenfalls nicht.« Die Wahrsagerin war längst wieder in ihren Hafenslang verfallen. »Und jetzt verlassen Sie bitte mein Etablissement! Mit Ihrem Geschrei vergraulen Sie mir ja alle Kunden. Suchen Sie woanders!«
    »Sie ist hier, nicht wahr? Sie haben sie versteckt?«
    Clarissa spürte, wie ihr trotz der Kälte, die mit Whittler in den Raum gekommen war, der Schweiß aus allen Poren brach. Sie hörte, wie er mit polternden Schritten den Raum durchquerte, die kleine Tür aufriss und wenig später wieder zuknallte. »Verdammt! Sie muss wohl doch woanders sein. Aber wenn ich herausbekommen sollte, dass Sie Ihre Hände im Spiel haben, können Sie was erleben! Diese Frau ist gemeingefährlich, und es wäre unverantwortlich, sie frei herumlaufen zu lassen. Sie muss dringend in ein Heim!«
    »Ganz, wie Sie meinen, Mister, aber vielleicht sollten Sie sich erst einmal anhören, was Ihnen meine Kristallkugel sagt. Es sieht leider nicht gut aus. Wenn mich nicht alles täuscht, sehe ich Sie sogar hinter Gefängnismauern …«
    »Ach, lassen Sie mich doch zufrieden!«, rief Frank Whittler aufgebracht. Clarissa hörte, wie er wütend die Tür zuwarf und sich seine Schritte rasch entfernten. Die Glöckchen bimmelten noch lange, nachdem er gegangen war.

33
    »Vielen Dank«, sagte Clarissa, als sie hinter den Tüchern hervortrat, »ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Ich hatte schon Angst, Sie würden mich dem Kerl ausliefern. Er hätte Ihnen wahrscheinlich sogar eine Belohnung bezahlt.«
    »Und die hätte ich gut brauchen können, glauben Sie mir. Aber ich mochte den Kerl nicht, ein unangenehmer Bursche! Selbst wenn er der US Marshal persönlich gewesen wäre, hätte ich Sie nicht verraten. Natürlich sind Sie verrückt, sonst wären Sie nicht hier, aber nicht so verrückt, dass man

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