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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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einem hageren Mann mit weißen Haaren begrüßt. »Was wollen Sie denn hier?«, empfing er sie genauso mürrisch, wie Ralston ihn angekündigt hatte. »Wir nehmen nur Männer auf. Ich hab schon genug Ärger mit den Chaoten.«
    »Sam Ralston schickt mich«, erwiderte sie etwas kleinlaut.
    »Das ist was anderes.« Er nahm einen Schlüssel vom Haken und führte sie in ein Zimmer im ersten Stock, das einer Rumpelkammer tatsächlich sehr nahekam. Eine Vielzahl von alten Möbeln, Kisten und Säcken stapelte sich an den Wänden und ließ kaum Platz für das breite Bett mit der fleckigen Matratze, auf der ebenso schmutzige Wolldecken lagen. »Nur Sie?«, fragte Brownie.
    »Und meine Freundin«, erklärte sie.
    »Dann kostet es das Doppelte.« Er verlangte einen unverschämten Preis und gab sich mit den Goldkörnern zufrieden, die Clarissa ihm reichte. Viele hatte sie nicht mehr in ihrem Lederbeutel. »Und seien Sie froh, dass Mister Ralston Sie schickt, sonst würde ich den Wucherpreis nehmen, den ich von den Besoffenen verlange, die sich jede Nacht bei mir auskotzen wollen. Dafür, was die Burschen hier veranstalten, gibt’s leider kein anständiges Wort.«
    »Schon gut, Mister Brownie.«
    »Brownie genügt. So nennen mich alle hier.«
    Sie wartete, bis er gegangen war, und setzte sich angewidert auf den Bettrand. Es gab keinen Ofen in der Kammer und war viel zu kalt, auch wenn nebenan ein Ofen bullerte und etwas von seiner Wärme herüberzog. Es stank erbärmlich. Die Waschschüssel, die auf einem wackeligen Hocker stand, war mit schmutzigem Wasser gefüllt. Eine Absteige, wie es sie in ganz Fairbanks nicht gab, aber ein sicheres Versteck, das musste sie zugeben. Dennoch glaubte sie nicht, eine ganze Nacht in dieser Pension durchhalten zu können.
    Als sie sich gerade entschlossen hatte, die Stadt sofort zu verlassen, kam Dolly herein und hielt sich nicht lange mit Vorreden auf. »Wir müssen hier weg!«, sagte sie. »Irgendjemand hat Whittler gesteckt, dass Ralston eine verrückte Lady zu Brownie geschickt hätte. Hab ich unterwegs aufgeschnappt!«
    Sie verloren keine Zeit, riefen nicht einmal nach Brownie, um sich die Goldkörner wiedergeben zu lassen. Ohne sich auch nur einmal umzudrehen, liefen sie nach draußen, sprangen auf den Schlitten und fuhren los, Dolly auf der Ladefläche und Clarissa auf dem Trittbrett. »Tut mir leid«, rief sie ihren Hunden zu, »wir müssen nochmal los! Giddy-up, vorwärts, weiter nach Norden!«
    »Wo willst du hin?«, rief Dolly. »Ich dachte, wir fahren nach Hause.«
    »Noch ein Stopp! Crazy Craig, ein Rentierzüchter, wohnt ungefähr zehn Meilen nördlich der Stadt. Hab ich vom Marshal. Wenn Alex hier gewesen wäre, hätte er sicher dort gehalten. Vielleicht können wir dort übernachten.«
    »Und Whittler kennt den Mann nicht?«
    »Keine Ahnung, aber wenn wir dort schlafen können, dann nur drei, vier Stunden, bis wir einigermaßen wieder in Form sind und die Huskys neue Kraft getankt haben. Ich denke vor allem an die Hunde. Müde nützen sie uns wenig, und wer weiß, wie schnell wir fahren müssen, wenn Whittler uns verfolgt.«
    »Du hast recht«, stimmte ihr Dolly zu, obwohl sie wenig begeistert von der Idee war. »Aber ich bin heilfroh, wenn wir Nome endlich hinter uns lassen.«
    »Nicht nur du, Dolly. Nicht nur du.«
    Der Trail nach Norden führte über die verschneite Tundra, und obwohl der Wind jetzt stärker wehte und es noch kälter geworden zu sein schien, waren sie froh, nach dem Schlamm auf der Front Street wieder richtigen Schnee unter den Kufen zu haben. Die Hunde zeigten ihre Freude, den Trubel in Nome verlassen zu können, indem sie noch kräftiger ausschritten und den frischen Wind regelrecht zu genießen schienen. Der Schnee war verharscht und körnig, aber griffig und machte es den Huskys leicht, die Richtung zu halten.
    Über ihnen spannte sich der dunkle Himmel, so hoch und weit, dass er bis in alle Ewigkeit zu reichen schien. Längst war es wieder Nacht geworden, und seitdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, lag das Land so einsam und leer vor ihnen wie das gefrorene Eismeer, das sich links von ihnen ausbreitete. Mit den bunten Lichtern war auch der Lärm zurückgeblieben, das Klimpern der mechanischen Klaviere, die lauten Stimmen der Goldgräber, die Flüche der Kutscher, die ihre Fuhrwerke über die Front Street trieben, und wohltuende Stille breitete sich aus, nur unterbrochen vom Knarren des Schlittens und dem Scharren der Kufen. So hatte es Clarissa

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