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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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wohl, dass etwas mit ihr nicht stimmte, und winselten und jaulten. »Schon gut, Emmett!«, rief sie heiser. »Gib mir ein paar Stunden, ja?«
    Crazy Craig schien trotz seines Namens ein gebildeter und rücksichtsvoller Mann zu sein und zog sich sofort zurück, als er merkte, dass mit Clarissa alles in Ordnung war. Dolly brachte sie in den Anbau, half ihr beim Ausziehen und führte sie zum Bett. Clarissa sank auf die Matratze und schlief mit Tränen in den Augen ein. Sie war so müde und erschöpft, dass sie nicht einmal träumte, und war einigermaßen erholt, als sie nach ungefähr vier Stunden aus dem Schlaf schreckte und ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend verspürte. Irgendetwas sagte ihr, dass Gefahr drohte.
    Sie berührte Dolly am linken Arm. »Wir müssen weiter.«
    Ihre Freundin war sofort hellwach. »Clarissa! Verdammt, sag bloß, die Nacht ist schon wieder vorbei!« Sie schälte sich leise fluchend aus ihren Decken. »Wie geht es dir? Bist du okay? Soll ich die erste Etappe fahren?«
    »Nein … es geht schon. Die Fahrerei bingt mich auf andere Gedanken.«
    Sie wuschen sich in der Schüssel mit warmem Wasser, die Crazy Craig neben den Ofen gestellt hatte, und zogen sich an, schlichen durch die Hintertür nach draußen und reckten sich in der kalten Luft. Zwischen den Wolken, die wie dunkle Flecken am Himmel hingen, leuchteten der zunehmende Mond und eine Vielzahl von Sternen, darunter auch der legendäre Polarstern, der Clarissa und Dolly in diese Einöde geführt hatte. Die Luft war ungewöhnlich klar, aber eisig kalt, selbst der Nebel war vom Meereis verschwunden, und der Wind kam jetzt von Norden und fegte frostig von der Tundra herein.
    »Hey, ihr Lieben!«, begrüßte Clarissa die Hunde. »Aufstehen! Ich hab euch ja gesagt, dass wir früh weiter müssen. Nur keine Müdigkeit vortäuschen, wir haben einen weiten Weg vor uns. Ihr wollt doch nicht kneifen?«
    Die Hunde waren sofort bereit, besonders Emmett, der am liebsten Tag und Nacht gelaufen wäre, und da sie noch vor den Schlitten gespannt waren, ging es auch sofort los. Clarissa brauchte sie nicht einmal anzutreiben. Kaum saß Dolly in Decken gehüllt auf der Ladefläche, griff Clarissa nach der Haltestange und setzte einen Fuß auf das Trittbrett. Im selben Moment stemmten die Hunde sich in ihre Geschirre und rannten los. »So gefallt ihr mir!«, rief Clarissa. »Giddy-up, go!«
    Um einigermaßen sicher vor Frank Whittler zu sein, der vielleicht noch immer auf der Suche nach ihr durch die Stadt streunte, und um von keinem in der Stadt gesehen zu werden, lenkte sie die Hunde vom Trail auf das Meereis und fuhr dicht an der Uferböschung entlang. Im Schatten war das Eis fest und glatt, und die Kufen glitten fast lautlos über das gefrorene Meer. Sie fuhr einen Slalom durch die im Eis feststeckenden Boote bei der Anlegestelle und kehrte erst ungefähr zwei Meilen hinter der Stadt wieder auf den Trail zurück.
    Wie immer, wenn Clarissa von Kummer geplagt wurde, tat ihr die Fahrt auch diesmal gut. Nur auf dem Trittbrett eines Hundeschlittens fühlte sie sich wirklich frei, da spürte sie förmlich, wie ihr der strenge Fahrtwind die Tränen wegblies. Sie durfte sich ihrem Schmerz nicht beugen. Dolly hatte recht, es war vollkommen egal, ob Alex in der Felsspalte oder auf dem Meer gestorben war. Beide Male wäre er freiwillig in den Tod gegangen, aus Liebe zu ihr, wie er meinte, oder weil die Schmerzen unerträglich geworden waren und die Chance, von dem Professor gerettet zu werden, ohnehin gering war. Er war tot, und nicht einmal ein Wunder konnte ihn noch retten. Sie musste sich endlich damit abfinden und in die Zukunft blicken, denn so hätte es wohl auch Alex gewollt. Sie durfte keine Traurigkeit zeigen, wenn sie abends zum Himmel hinaufblickte und seine Seele im flackernden Nordlicht spürte.
    Die Fahrt über den Trail war anstrengend und gefährlich genug, und jedes Abschweifen der Gedanken oder Versinken in Selbstmitleid wurde sofort bestraft. Dollys Sturz in den Overflow hatte ihnen wieder einmal gezeigt, wie nahe Tod und Leben in der Wildnis beisammenlagen, wie leicht man mit dem Schlitten vom Weg abkommen und in der Ewigkeit versinken konnte. Und wer wusste schon, ob Frank Whittler die Stadt nicht verlassen hatte und irgendwo in einem Hinterhalt lauerte. Dieser Mann war unberechenbar, ein eiskalter Verbrecher, der von einem so fanatischen und kaum noch erklärbaren Hass auf sie getrieben wurde, dass ihm so ziemlich alles zuzutrauen

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