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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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waren. Dann verschwanden sie hinter der Biegung, und ein paar Minuten später hörte ich … hörte ich einen Schrei.«
    »Einen Schrei? Und niemand sonst hat diesen Schrei gehört?«
    »Ich habe gute Ohren.«
    »Hast du nachgesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich … ich hatte zu viel Angst! Wir alle hatten den Ruf der Eule gehört, und ich wollte die bösen Geister nicht in unser Dorf locken. Ich dachte nur … dein Mann verfolgt diese Verbrecher … wenn er nun …«
    »Ich werde nachsehen, Agnes. Ich danke dir.«
    »Ich wollte … ich wollte doch nicht …« Das Mädchen rannte weinend davon, verlor die Decke, hob sie wieder auf und verschwand im Unterholz.

14
    Wie von einer fremden Macht gesteuert, lenkte Clarissa den Schlitten den Yukon hinab. Sie sprach nicht mit ihren Hunden, bei dem tauben Gefühl, das ihren ganzen Körper ergriffen hatte, hätte sie auch kein Wort hervorgebracht. Verkrampft und den Blick starr nach vorn gerichtet, stand sie auf dem Trittbrett und überließ es ihrem Leithund, die beste Spur auf dem Eis zu finden.
    Die Angst hielt sie fest umklammert. In dem leichten Flockenwirbel, der sie zu der Biegung begleitete, sah sie schreckliche Bilder, die sie an ihre Albträume erinnerten. Der höhnisch grinsende Frank Whittler mit einem blutigen Messer in der Hand. Alex, der von den beiden Komplizen an den Armen festgehalten wurde, eine blutige Wunde im Unterleib und die Augen starr vom nahenden Tod. Hatte er den Schrei ausgestoßen? Hatte Agnes gehört, wie er gestorben war?
    Die Versuchung, ihr Gespann nach Süden zu lenken, um weiter mit der Hoffnung leben zu können, war groß, und doch fuhr sie weiter, von der Biegung des Flusses magisch angezogen. Sie musste wissen, was dort geschehen war, auch wenn es bedeuten sollte, dass der Rest ihres Lebens von Trauer und Schmerz bestimmt sein würde. Den Gedanken, dass ein Toter, wenn er dort lag, von einem wilden Tier zerfetzt sein könnte, ließ sie gar nicht erst aufkommen. Sie wollte Gewissheit haben, so schnell wie möglich.
    Vor der Biegung schloss sie die Augen, als könnte sie die tragische Gewissheit, ihren Mann verloren zu haben, dadurch ein wenig hinausschieben. Für einen kurzen Moment spürte sie nichts, nicht einmal den kalten Wind, der ihr hinter der Biegung direkt ins Gesicht blies, dann gab sie sich einen Ruck und öffnete sie wieder. »Whoaa! Whoaa!«, bremste sie die Hunde. Sie rammte den Anker in den verharschten Schnee am Ufer und stieg vom Schlitten.
    Auf dem Eis lag kein Toter, und auch am Ufer war niemand. Ihre rechte Hand umklammerte den Revolver in der Tasche, und obwohl die Verbrecher längst weitergefahren sein mussten, lief sie flussabwärts und suchte das Ufer ab. Einmal stockte ihr der Atem, aber der dunkle Fleck im Schnee war nur ein Fichtenast, der während des Blizzards abgebrochen war. Sie lief auf den Fluss hinaus und suchte das andere Ufer ab, fand auch dort nichts außer den Überresten eines toten Kaninchens, das ein nächtlicher Räuber übrig gelassen haben musste. Sie kehrte zur nördlichen Seite des Flusses zurück, verfolgt vom leisen Rauschen des Windes, der den aufgewirbelten Schnee in der eisigen Luft knistern und die Schwarzfichten geheimnisvoll flüstern ließ.
    Hatte sich Agnes den Schrei nur eingebildet? War es gar kein Todesschrei gewesen? Das ernste Gesicht der Indianerin und der ängstliche, beinahe panische Ausdruck in ihren Augen verhießen das Gegenteil. Sie hatte gehört, wie ein Mensch verletzt oder getötet worden war, und die Nähe von Frank Whittler und seinen Kumpanen konnte eigentlich nur bedeuten, dass irgendwo an dieser Flussbiegung ein Opfer lag. Wenn nicht Alex, dann ein indianischer Jäger oder ein Fallensteller, der von ihnen überrascht worden war.
    Sie suchte weiter, drang in den Wald ein und blieb erst einmal stehen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit unter den Schwarzfichten gewöhnt hatten. Behutsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und tastete sich vor. Unter ihren Stiefeln knackten heruntergefallene Äste und Zweige, knirschte der Schnee, der im Schatten der Bäume von einer harten Kruste bedeckt war. Ein Eichhörnchen ließ sie zusammenfahren, huschte dicht an ihren Beinen vorbei und raste einen Baumstamm hinauf. Sie stieß einen überraschten Schrei aus und musste sich an einem Baum festhalten, um nicht in den Schnee zu stürzen.
    Mit klopfendem Herzen lief sie weiter. Geduckt stieg sie unter den Fichten hindurch, die in diesem Wald ungewöhnlich dicht standen,

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