Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
Vom Netzwerk:
und bog die ausladenden Zweige mit beiden Händen nach oben. Die Lichtung, die vor ihr durch die Bäume schimmerte, sah sie erst spät. Sie blieb stehen und lauschte, wollte auf keinen Fall von Whittler und seinen Männern überrascht werden, falls sie wider Erwarten noch in der Gegend sein sollten. Keine verdächtigen Stimmen, kein Hundegebell. Nur das Rauschen der Baumkronen im Wind.
    Ein vertrauter Geruch zog ihr in die Nase, die kalte Asche eines lange verloschenen Feuers. Sie folgte dem Geruch und erreichte die Lichtung, griff sich erschrocken an die Kehle, als sie die verlassene Feuerstelle und den Toten entdeckte. Die Leiche eines Mannes, auf dem Bauch liegend und von Neuschnee bedeckt. Im düsteren Licht, das auch auf der Lichtung herrschte, war er nicht zu erkennen. Sie ließ alle Vorsicht fahren und rannte zu ihm, blickte atemlos auf das dunkle Blut, das unter seinem Körper im Schnee gefroren war, und schlug würgend eine Hand vor den Mund. Er war nicht der erste Tote, den sie erblickte, und doch schockierte sie der furchtbare Anblick.
    Obwohl der Mann eine karierte Jacke trug und seine Haare wesentlich kürzer waren, befürchtete sie noch immer, es könnte sich um Alex handeln. Erst als sie den steifgefrorenen Toten auf den Rücken drehte und in das Gesicht eines fremden Mannes blickte, fiel die Angst von ihr ab. Ihre Anspannung löste sich, und sie sank erschöpft auf die Knie. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, begann heftig zu schluchzen und schlug die Hände vor die Augen, lachte plötzlich wieder und schickte ein Dankgebet zum Himmel. Sie war so erleichtert, dass sie am liebsten die ganze Welt umarmt hätte.
    Nach Luft schnappend, weil sie in ihrer Aufregung und Erleichterung zu atmen vergessen hatte, rieb sie sich die Tränen vom Gesicht und stand auf. Ihr Entsetzen war noch immer groß. Auch wenn es sich bei dem Toten nicht um Alex handelte, lag immer noch ein Mann vor ihr, den man auf grausame Weise mit einem Messer umgebracht und wie den Kadaver eines Tieres in der Wildnis liegen gelassen hatte. Ein abscheulicher Anblick! Sie war einiges gewöhnt, erschauderte schon lange nicht mehr, wenn sie ein totes Tier erblickte oder Alex half, einen Elch oder Hirsch auszunehmen, doch ein toter Mensch war etwas anderes, vor allem, wenn er so zugerichtet war wie dieser Mann.
    Sie fasste sich ein Herz und durchsuchte die Taschen des Mannes. Seine Handschuhe, eine Lederschnur, etwas Kautabak, aber nichts, was auf seine Identität schließen ließ. Wahrscheinlich einer der Verbrecher, dachte sie. Sie traute Frank Whittler durchaus zu, aus reiner Gier einen Komplizen erschossen zu haben. Vor einigen Jahren noch ein arroganter Millionärssohn, der glaubte, sich gegenüber Untergebenen und Frauen alles erlauben zu können, entwickelte er sich nach dem Skandal, in den auch seine Eltern verwickelt waren, zu einem rücksichtslosen Verbrecher, der auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckte und wohl noch immer von seinem jahrelangen Hass gegen sie beseelt war. Ein besessener Mörder, der zu allem fähig war.
    Obwohl es sich bei dem Toten wahrscheinlich um einen seiner Komplizen handelte, der sicher keinen Deut besser war, brachte sie es nicht übers Herz, ihn den wilden Tieren zu überlassen. Selbst mit einem Spaten wäre es im Winter unmöglich gewesen, in der hartgefrorenen Erde ein Grab zu schaufeln, deshalb bedeckte sie seinen Körper mit Steinen aus der Umgebung. Eine anstrengende Arbeit, auch mit Handschuhen, weil sie die meisten Steine aus dem Schnee graben und zu dem Toten tragen oder wälzen musste.
    Während sie die Steine auf seinen Oberkörper schichtete, entdeckte sie eine rote Brandnarbe am Hals des Toten. Sie hielt in der Arbeit inne, starrte auf den hässlichen Fleck und beeilte sich, ihn mit einem Stein zu bedecken. Von der anstrengenden Arbeit erschöpft stand sie auf und betrachtete ihr Werk. Der Körper des Toten war nur notdürftig bedeckt, aber die Steine würden Wölfe und andere Tiere von ihm abhalten. Sie sprach ein kurzes Gebet, wie sie es für jeden Menschen getan hätte, und ging zu ihren Huskys zurück.
    Die Erleichterung, im Wald nicht auf die Leiche ihres Mannes gestoßen zu sein, war bereits verflogen, als sie auf den Schlitten stieg. Der Fund hatte kaum etwas verändert. Alex konnte irgendwo anders in dieser unwegsamen Wildnis gestorben sein oder irgendwo verletzt im Schnee liegen. Diesseits oder jenseits des Flusses, ganz in ihrer Nähe oder meilenweit entfernt,

Weitere Kostenlose Bücher