Die Nacht der Wölfin
mich eben in ihm verlieren wollte, unterbrach er den Kuss und griff nach oben, drehte die Finger in mein Haar. Aber er hob den Kopf nicht; er hielt das Gesicht dicht über mir, die Augen meinen Augen so nahe, dass ich nichts sah außer Blau.
»Mach mir nie wieder solche Angst«, sagte er rau. »Wenn ich dich verliere… Ich kann dich nicht verlieren.«
Ich legte die Hände um seinen Kopf und küsste ihn. Und wieder hielt er mitten im Kuss inne.
»Versprich es«, sagte er. »Versprich mir, dass du nie wieder so ein Risiko eingehst.«
Ich versprach es, und er senkte das Gesicht auf meins herunter, als wir den letzten Rest von Kontrolle davongleiten ließen.
Jeremy klopfte kräftig an die Tür, bevor die Dämmerung noch durch die Bäume vor meinem Fenster gedrungen war. Clay öffnete die Augen, machte aber keinerlei Anstalten, aufzustehen oder auch nur zu antworten.
»Ich brauche euch beide unten«, sagte Jeremy durch die geschlossene Tür.
Ich sah zu Clay hinüber und wartete darauf, dass er antwortete. Er sagte nichts.
»Jetzt«, sagte Jeremy.
Clay blieb etwa eine weitere halbe Minute lang stumm. Dann grunzte er: »Wieso?«, in einem Ton, den ich ihn Jeremy gegenüber niemals hatte gebrauchen hören. Auch Jeremy selbst wirkte betroffen. Mehrere lange Sekunden sprach er nicht.
»Unten«, sagte er schließlich. »Jetzt.«
Ich hörte, wie Jeremys Schritte sich den Gang entlang entfernten. »Es hängt mir zum Hals raus«, sagte Clay, während er die Decke zurückwarf. »Das führt doch zu nichts. Bisher sind wir immer nur im Kreis rumgerannt. Jagen, wegrennen, jagen, wegrennen. Und was hat es uns gebracht? Es hat Logan umgebracht, es hat Peter umgebracht, es hat Jeremy beinahe umgebracht, und es hat dich beinahe umgebracht. Jetzt bist du in Gefahr, und er sollte vielleicht lieber überlegen, was man dagegen unternehmen kann.«
»Das tu ich gerade«, trieb Jeremys Stimme von der Treppe zu uns herauf. »Deshalb habe ich gesagt, ihr sollt nach unten kommen.« Rote Flecken brannten auf Clays Wangen. Er hatte vergessen, dass Jeremy ihn am Fuß der Treppe ebenso gut hören konnte wie von der Türschwelle aus. Er murmelte etwas, das entschuldigend klang, und stand auf.
Antonio und Nick waren schon im Arbeitszimmer, wo sie sich von einer Platte mit kaltem Fleisch und Käse bedienten. Als wir hereinkamen, war Jeremy gerade dabei, auf dem Tisch beim Sofa unsere Kaffeebecher zu arrangieren.
»Ich weiß, dass du dir um Elena Sorgen machst, Clayton«, begann er, als wir uns häuslich eingerichtet hatten. »Wir alle tun das. Deshalb schicke ich sie ja auch weg. Heute noch.«
»Was?«, fragte ich scharf. »Augenblick mal. Bloß weil ich gestern Abend einen Schreck gekriegt habe –«
»Du warst nicht die Einzige, die gestern Abend einen Schreck gekriegt hat, Elena. Daniel hat es auf dich abgesehen, und jetzt sieht es so aus, als ob für diesen LeBlanc das Gleiche gilt. Der eine will dich einfangen. Der andere will dich umbringen. Glaubst du allen Ernstes, ich warte in Ruhe ab, welcher von beiden es schafft? Ich habe erst Logan und dann Peter verloren. Ich werde keinerlei Risiko mehr eingehen, noch jemanden zu verlieren. Ich habe gestern einen Fehler gemacht, als ich dir erlaubt habe mitzukommen, nachdem ich schon wusste, dass Daniel dich will. Ich mache nicht noch einen Fehler, indem ich dir erlaube, noch einen Tag länger hier zu bleiben.«
Ich sah zu Clay hinüber in der Erwartung, er werde ebenfalls protestieren, aber stattdessen hielt er den Becher auf halber Höhe und starrte auf seinen dunklen Inhalt hinunter wie ein Wahrsager, der im Kaffeesatz nach Antworten sucht. Einen Augenblick später setzte er den Becher ab, ohne getrunken zu haben. Selbst Jeremy hielt inne, um auf einen Einwand zu warten, der nicht kam.
»Na wunderbar«, sagte ich. »Ein einziger Panikanfall, und ich bin ein Risikofaktor, den man zur Sicherheit irgendwo wegschließt. Erfahre ich wenigstens, wo ihr mich zu verstecken vorhabt? Oder kann man mir die Information nicht anvertrauen?«
Jeremy fuhr in dem gleichen gelassenen Tonfall fort wie zuvor. »Du gehst an den letzten Ort, an dem die Mutts dich erwarten würden. Zurück nach Toronto.«
»Und was zum Teufel soll ich in Toronto tun? Mich irgendwo allein in ein Loch verkriechen, während die Männer ihre Kämpfe austragen?«
»Du wirst nicht allein sein. Clay kommt mit.«
»Hey, Moment mal!« Ich sprang auf. »Das soll wohl ein Witz sein, oder?« Ich wandte mich an Clay. Er hatte sich
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