Die Nacht der Wölfin
nicht von der Stelle gerührt. »Hast du das nicht gehört? Verdammt noch mal, sag irgendwas!«
Clay sagte nichts.
»Was sollen wir denn in Toronto?«, fragte ich. »Uns in einem Hotel verstecken?«
»Nein, du wirst ganz genau das tun, was du immer tust. Du gehst zurück in deine Wohnung, arbeitest weiter in deinem Job, wenn du willst, nimmst deinen alten Tagesablauf wieder auf. Dort wirst du sicher sein. In deiner vertrauten Umgebung. Du kennst dein Wohnhaus, deine üblichen Wege, die Restaurants und Geschäfte, in denen du verkehrst. Du wirst potenzielle Schwierigkeiten eher bemerken als in einer fremden Umgebung. Und es wird für dich angenehmer sein.«
»Angenehmer?«, brach es aus mir heraus. »Ich kann Clay nicht mit in meine Wohnung nehmen. Du weißt ganz genau, dass das nicht geht!«
Clays Kopf schnappte hoch, als hätten wir ihn aus dem Schlaf aufgeweckt. »Warum nicht?«
Als ich seinen Blick auffing, wurde mir klar, dass er nicht wusste, dass ich mit Philip zusammenlebte. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sein Gesichtsausdruck ließ mich verstummen. »Du wirst ihn loswerden müssen«, sagte Jeremy. »Ruf ihn an und sag ihm, dass er gehen soll.«
»Wen loswerden? Wen anrufen und –« Clay brach ab. Etwas wie Übelkeit ging über sein Gesicht. Er starrte mich einen langen Augenblick an. Dann stand er auf und ging aus dem Zimmer. Nun hatte Jeremy mehr Talente als irgendjemand sonst, den ich kannte. Er konnte aus einem Dutzend Sprachen übersetzen, er konnte einen gebrochenen Knochen so schienen, dass er zusammenwuchs wie neu, er konnte Szenen malen, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte, und er konnte einen angreifenden Wolf von zweihundert Pfund mit einem einzigen Blick aufhalten. Aber von romantischen Beziehungen hatte er nicht die blasseste Ahnung.
»Danke«, sagte ich, nachdem Nicholas und Antonio leise hinausgeschlüpft waren. »Vielen, vielen Dank auch.«
»Er weiß von diesem Mann«, sagte Jeremy. »Ich bin davon ausgegangen, dass er auch weiß, dass ihr zusammenlebt.«
»Und wenn er's nun nicht weiß? Dann demütigst du ihn eben vor Nick und Tonio?«
»Ich habe gesagt, ich dachte, er wüsste es.«
»Na, jetzt weiß er es jedenfalls, und du wirst dich damit auseinander setzen müssen. Er kommt nicht mit mir nach Toronto, wenn ich überhaupt gehe.«
»Du gehst und er auch. Und was diesen Mann angeht, er ist bei dir eingezogen, oder nicht? Es war ursprünglich deine Wohnung.«
Ich fragte nicht, woher Jeremy das wusste. Und ich antwortete auch nicht.
»Dann kannst du ihm auch sagen, er soll gehen«, fuhr Jeremy fort. »Den Hörer abnehmen, ihn anrufen und ihm sagen, dass ich heute noch nach Hause komme und möchte, dass er bis dahin verschwunden ist?«
»Ich wüsste nicht, warum nicht.«
Ich lachte kurz auf. »Man macht nicht telefonisch Schluss mit jemandem, mit dem man zusammengelebt hat. Man bricht nicht von einem Moment zum anderen alle Verbindungen ab. Man gibt ihm nicht ein paar Stunden Zeit, um aus der Wohnung zu verschwinden. Nicht ohne einen verdammt guten Grund.«
»Du hast einen guten Grund.«
»Das ist nicht –«, begann ich und schüttelte dann den Kopf. »Lass es mich anders ausdrücken, so, dass du's verstehst. Wenn ich anrufe und ihm sage, dass es vorbei ist, wird er nicht einfach gehen. Er wird eine Erklärung verlangen, und er wird bleiben, bis er eine bekommen hat, mit der er zufrieden ist. In anderen Worten, er wird Schwierigkeiten machen. Ist der Grund gut genug?«
»Dann mach nicht Schluss mit ihm. Zieh wieder mit ihm zusammen.«
»Mit Clay auf dem Sofa? Im ganzen Leben nicht. Wenn du unbedingt einen Babysitter mitschicken willst, dann nimm Nick. Der wird sich wenigstens benehmen.«
»Clay kennt Toronto. Und er wird sich von nichts ablenken lassen, wenn er dich beschützen soll.« Jeremy ging zur Tür. »Ich habe für euch beide einen Flug am frühen Nachmittag gebucht.«
»Ich gehe aber nicht –«
Jeremy war schon aus dem Zimmer.
Clay war der Nächste, der sich mit Jeremy anlegte. Nicht, dass ich gelauscht hätte – aber ich hätte das Haus verlassen müssen, um die beiden nicht zu hören. Und da es bei der Unterhaltung schließlich um meine Zukunft ging, sah ich nicht ein, weshalb ich mir eigens Mühe geben sollte, nicht zuzuhören. Clay passte das Arrangement ebenso wenig wie mir selbst. Seine Instinkte verlangten in erster Linie von ihm, seinen Alpha zu schützen, und aus einer Entfernung von mehreren hundert Meilen konnte er das
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