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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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meinem Aussehen und vollkommen außerstande, mit meiner verletzten Psyche zurechtzukommen.
    Als ich ein Teenager war, änderte sich die Art von Paar, die mich aus dem Heim aussuchte. Es war nicht mehr die Frau, die die Wahl traf, sondern der Mann, der auf meine kindliche Schönheit und meine Angst aufmerksam wurde. Ich wurde zur ersten Wahl eines bestimmten Typs von männlichem Beutegreifer, der nach einem ganz bestimmten Typ Kind suchte. Ironischerweise waren es diese Ungeheuer, die mich meine eigene innere Kraft finden ließen. Als ich älter wurde, begann ich sie als das zu sehen, was sie waren, keine allmächtigen schwarzen Männer, die nachts in mein Zimmer geschlichen kamen, sondern armselige Schwächlinge voll panischer Angst davor, bloßgestellt und zurückgewiesen zu werden. Mit dieser Erkenntnis verflüchtigte sich die Angst. Sie konnten mich berühren, aber sie konnten nicht mich berühren, nicht das Ich jenseits meines Körpers. Mit der Angst verließ mich auch die Wut. Ich verachtete sie und ihre ebenso schwachen, blinden Frauen, aber meinen Zorn waren sie nicht wert. Ich ließ es nicht zu, dass ich wütend auf sie war, ich ließ es nicht zu, dass ich Zeit und Energie an sie verschwendete, die anderswo besser aufgehoben waren. Wenn ich diesem Leben entrinnen wollte, musste ich es allein schaffen. Das bedeutete nicht, wegzulaufen. Es bedeutete, dazubleiben und es durchzustehen. Es bedeutete, hart zu arbeiten und es auf die Liste der Schulbesten zu schaffen, obwohl kaum ein Jahr verging, ohne dass ich die Schule wechselte. Erfolg in der Schule bedeutete die Zulassung zur Universität, die einen Abschluss bedeutete, der eine Karriere bedeutete, die das Leben bedeutete, von dem meine Sozialarbeiter und meine Pflegefamilien glaubten, ich könne es nicht erreichen. Zugleich entdeckte ich eine weitere Quelle der Kraft – die Stärken meines eigenen Körpers. Ich wurde groß und langgliedrig. Ein Lehrer steckte mich in die Leichtathletikklasse in der Hoffnung, ich würde mich mit anderen Kindern anfreunden. Stattdessen lernte ich zu rennen, entdeckte die vollkommene Seligkeit, das unvergleichliche Vergnügen körperlicher Anstrengung, spürte zum ersten Mal meine Kraft und meine Schnelligkeit. Als ich die Highschool zur Hälfte hinter mir hatte, übte ich mit Hanteln und trainierte täglich. Zu diesem Zeitpunkt rührte mein Pflegevater mich nicht mehr an. Niemand wäre jetzt noch auf den Gedanken gekommen, in mir ein potenzielles Opfer zu sehen.
    »Ist es das hier, Miss?«, fragte der Fahrer.
    Ich hatte gar nicht bemerkt, dass das Auto zum Stehen gekommen war, aber als ich zum Fenster hinaussah, erkannte ich das Tor zum Grundstück von Stonehaven. Im Gras saß eine Gestalt, an die Mauer gelehnt, die Knöchel gekreuzt. Clayton.
    Der Fahrer spähte in die Dunkelheit und versuchte das Haus zu erkennen; das Messingschild am Zaun konnte er ebenso wenig sehen wie den Mann, der am Tor wartete. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und die Lampen am Ende der Einfahrt waren nicht an.
    »Ich steige hier aus«, sagte ich.
    »Hm. Geht nicht, Miss. Das ist gefährlich. Irgendwas ist hier draußen.«
    Ich dachte, er meinte Clay. Irgendwas war gar keine üble Beschreibung für ihn. Ich wollte gerade sagen, dass ich das Irgendwas leider recht gut kannte, als der Fahrer weitersprach.
    »Wir haben dieser Tage Ärger gehabt in den Wäldern hier rum, Miss. Wilde Hunde, so wie's aussieht. Eins von den Mädchen aus der Stadt haben sie gefunden, gar nicht weit von hier. Richtig zerrissen von diesen Hunden. Kumpel von mir hat sie gefunden, und er hat gesagt – na ja, es war nicht schön, Miss. Bleiben Sie einfach sitzen, und ich mach das Tor da auf und fahr Sie bis ran.«
    »Wilde Hunde?«, fragte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich meinen Ohren trauen durfte.
    »Genau. Mein Kumpel hat Spuren gefunden. Riesendinger. Irgendein Typ von 'nem Institut hat gesagt, die Spuren sind alle von ein und demselben Vieh, aber das kann nicht stimmen. Muss 'ne Meute sein. So was kriegt man nicht –« Der Blick des Fahrers fiel auf das Fenster neben mir, und er fuhr fast von seinem Sitz auf. »Herrgott!«
    Clay hatte seinen Posten am Tor verlassen und war neben dem Auto aufgetaucht. Er stand dort und beobachtete mich, ein bedächtiges Grinsen in den Augen. Er griff nach der Autotür. Der Fahrer griff nach der Gangschaltung.
    »Schon in Ordnung«, sagte ich mit tiefem Bedauern. »Er gehört zum Haus.«
    Die Tür wurde geöffnet. Clay

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