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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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bereits durch die Öffnung ins Innere. Ich fasste nach dem Sicherheitsgurt und zerrte, und der Gurt glitt mir durch die Finger, als er sich um Olson straffte; ich griff an ihm vorbei nach dem Schließmechanismus, ließ ihn einrasten und verdrehte das Metall, bis der Gurt sich nicht mehr öffnen ließ. Dann zog ich den Arm zurück.
    Olsons Kopf fuhr herum, um meiner Hand zu folgen, als sie an ihm vorbeischoss. Er sah zu mir auf. Einen Moment lang starrte er einfach, fixierte mich mit den aufgerissenen Augen eines Feiglings, der sich auf den ersten Schlag vorzubereiten versucht. Noch als ich zurücktrat, zuckte er zusammen. Als ihm klar wurde, dass ich außer Reichweite war, runzelte er die Stirn; dann sah ich ein Aufblitzen von bösartiger Gerissenheit in seinen Augen, und er begann zu lächeln. Ohne den Blick von mir zu nehmen, griff er mit der rechten Hand nach dem Verschluss seines Sicherheitsgurts. Er drückte auf den Knopf, und es geschah nichts. Als ihm aufging, was ich getan hatte, griff er nach dem Gurt selbst und zerrte, aber er war straff über seine Brust gespannt.
    Ich wusste, was ich zu tun hatte, aber wieder zögerte ich. Konnte ich es tun? Die Erinnerung an José Carter schoss mir durch den Kopf. Dies war anders, sagte ich mir selbst. Dies war nicht einfach irgendein menschlicher Schwindler, sondern ein Killer. Nichtsdestoweniger – was ich im Begriff stand zu tun, ging über das hinaus, was ich Carter angetan hatte. Ging weit darüber hinaus. Dies war Clay's Territorium. Konnte ich es tun? Mich von meinen eigenen Empfindungen abschneiden und es tun? Olson ist ein Killer, sagte ich mir. Schlimmer als das. Ein krankes Schwein, das kleinen Mädchen auflauerte, kleinen Mädchen wie dem, das ich selbst vor langer Zeit gewesen war. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich, spürte, wie die Schlange der Wut durch meinen Körper zuckte.
    Olson kämpfte gegen den Sicherheitsgurt an, aber er hielt; das Material musste mehr aushalten können, als selbst ein Werwolf anzurichten vermochte. Ich ignorierte ihn und versuchte meine gesamte Energie in meine linke Hand zu leiten. Sie begann zu pochen und dann zu zucken; Schmerzen schossen meinen Arm hinauf. Ich öffnete die Augen und sah zu. Als die Hand zur Hälfte verwandelt war, brach ich es ab. Mit der rechten Hand griff ich ins Auto und packte Olsons rechtes Handgelenk. Mit den Klauen der anderen Hand riss ich die Haut auf. Er schrie, ein hohes kaninchenartiges Quieken. Eine rote Rinne öffnete sich an der Unterseite seines Handgelenks. Blut quoll heraus. Ich griff nach seinem linken Handgelenk und tat das Gleiche. Er schrie wieder und begann wild zu zappeln. Blut sprühte auf Lenkrad und Armaturenbrett.
    »Wenn du dich bewegst, wird es nur schlimmer«, sagte ich; ich hielt die Stimme ruhig und konzentrierte mich darauf, meine Hand zurückzuverwandeln. »Wenn du willst, dass es langsamer blutet, halt die Hände in die Höhe.«
    »W…Warum?«
    »Warum? Warum ich das tue? Oder warum ich dir sage, wie du es verzögern kannst? Das Erste sollte ich eigentlich nicht beantworten müssen. Du weißt ja offensichtlich, wer ich bin. Und was das Zweite angeht, ich versuche nicht, dich umzubringen. Ich will einfach Informationen. Wenn du sie mir gibst, mache ich den Gurt auf. Du kannst dir die Handgelenke verbinden und hast wahrscheinlich Zeit, ein Krankenhaus zu erreichen. Wenn du mir nicht sagst, was ich wissen will, bringst du dich selbst um.«
    »W… –« Olson schluckte. »Was willst du w…wissen?«
    »Das sollte ich eigentlich auch nicht beantworten müssen. Aber vielleicht rutschst du gerade in einen Schockzustand ab und denkst nicht sonderlich klar, also tu ich dir den Gefallen. Wo ist Clayton?«
    Den Rest der Unterhaltung werde ich nicht wiedergeben. Olson war in einer Situation, in der sich nicht mehr verhandeln ließ, und er wusste es. Wie ich erwartet hatte, bedeuteten ihm die anderen nicht das Geringste. Nur sein eigenes Leben zählte. Er erzählte mir alles, was ich wissen musste, und noch mehr; er schwatzte hektisch, als verbessere jedes Wort, das er sagte, seine Überlebenschancen.
    Als er fertig war, ließ ich ihn in seinem Auto sitzen. Ich erwog, den Sicherheitsgurt zu öffnen und ihm seine Chance zu geben. Immerhin hatte ich es ihm versprochen. Ich hatte noch nie eine solche Abmachung gebrochen. Dann dachte ich an die Mädchen, die ihm zum Opfer gefallen waren, und stellte mir vor, wie oft er ihnen Versprechen gegeben haben musste, wie oft er

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