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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Raum genauso aussah wie damals vor vierzehn Monaten, als ich ihn verlassen hatte. Ich rief aus der Erinnerung ein Bild des Zimmers herauf, verglich es mit dem, was ich sah, und fand keinen Unterschied. Da konnte etwas nicht stimmen. Jeremy renovierte das Zimmer – und den größten Teil des übrigen Hauses – so oft, dass wir anderen Witze darüber machten – einmal blinzeln hieß, dass man zwischendurch etwas verpasst hatte. Clay hatte einmal gesagt, die dauernden Veränderungen hätten etwas mit unerfreulichen Erinnerungen zu tun, wollte sich aber nicht genauer darüber äußern. Bald nachdem Clay mich hergebracht hatte, hatte Jeremy mich als Assistentin für Fragen der Inneneinrichtung rekrutiert. Ich erinnerte mich an ganze Nächte, die wir damit verbracht hatten, über Katalogen zu grübeln, Möbel durch die Gegend zu zerren und Farbproben hochzuhalten. Als ich zur Decke über dem Kamin hinübersah, konnte ich dort noch die hart gewordenen Klumpen von Tapetenkleister sehen, Zeugen einer Tapezier-Orgie, die bis vier Uhr morgens gedauert und das Arbeitszimmer in ein Schlachtfeld verwandelt hatte; danach waren wir so erschöpft gewesen, dass wir zu nichts mehr im Stande waren als dazu, mit Kleisterklumpen nacheinander zu werfen.
    Ich erinnerte mich noch, wie ich beim letzten Mal zu den Klumpen hinübergestarrt hatte. Jeremy war ebenfalls da gewesen; er hatte vor dem Kamin gestanden, den Rücken zu mir gewandt. Als ich ihm erzählt hatte, was ich getan hatte, wünschte ich mir schmerzlich, er möge sich umdrehen, mir sagen, dass es nicht falsch gewesen war. Aber ich wusste, es war falsch gewesen. Absolut und vollkommen falsch. Trotzdem, ich wollte, dass er etwas sagte, irgendetwas, damit ich mich besser fühlen konnte. Als er es nicht getan hatte, war ich gegangen und hatte mir geschworen, nicht zurückzukommen. Ich sah zu den Kleisterklumpen hinauf. Noch eine verlorene Schlacht.
    »Du bist also zurück … endlich.«
    Die tiefe Stimme ließ mich zusammenfahren. Jeremy stand in der Tür. Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich einen kurz geschnittenen Bart zugelegt; das passierte in der Regel, wenn er zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt war, um sich zu rasieren, und sich dann nicht die Mühe machte, den entstandenen Schaden zu beheben. Der Bart ließ ihn älter aussehen, wenn auch nicht annähernd nach seinem wirklichen Alter von einundfünfzig Jahren. Wir altern langsam. Jeremy hätte als Mittdreißiger durchgehen können, wobei seine Haartracht den Eindruck von Jugendlichkeit noch unterstrich – schulterlang und im Nacken zusammengebunden. Es war eine Frisur, die er sich nicht etwa deshalb zugelegt hatte, weil sie modisch war, sondern weil sie weniger Haarschnitte mit sich brachte. Friseurtermine fand Jeremy unerträglich, und so pflegten Clay oder ich ihm die Haare zu schneiden – eine Erfahrung, die alle Beteiligten nur ein paar Mal im Jahr aushalten konnten. Als er ins Zimmer trat, fiel ihm das Stirnhaar in die Augen und ruinierte den grimmigen Gesichtsausdruck. Er schob es sich mit der Hand aus der Stirn, eine so vertraute Geste, dass mir dabei die Kehle schmerzte.
    Er sah sich um. »Wo ist Clay?«
    Typisch. Erst wirft er mir an den Kopf, dass ich zu spät dran bin. Und dann fragt er nach Clay. Ich verspürte einen schmerzlichen Stich im Inneren und verdrängte ihn. Es war ja nun nicht so, dass ich mit Umarmungen und Begrüßungsküssen gerechnet hätte. Derlei war einfach nicht Jeremys Stil – wobei ein »Schön, dich zu sehen« oder »Wie war der Flug?« trotzdem nett gewesen wäre.
    »Wir haben Schüsse weiter hinten im Wald gehört«, sagte ich. »Er hat irgendwas gemurmelt und ist verschwunden.«
    »Ich habe jetzt seit drei Tagen versucht, dich zu erreichen.«
    »Ich hatte zu tun.«
    Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Bei Jeremy entsprach das einem Gefühlsausbruch. »Wenn ich anrufe, rufst du zurück«, sagte er. Seine Stimme klang trügerisch sanft. »Ich würde nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre. Wenn ich es tue, dann antwortest du. So hatten wir es abgemacht.«
    »Korrekt, so hatten wir es abgemacht. Vergangenheitsform. Die Abmachung war zu Ende, als ich das Rudel verlassen habe.«
    »Als du das Rudel verlassen hast. Wann genau ist das passiert? Entschuldige, wenn mir da irgendwas entgangen ist, Elena, aber ich erinnere mich nicht an die Unterhaltung.«
    »Ich dachte, das wäre klar gewesen.«
    Clay kam herein, ein Tablett mit kaltem Fleisch und Käse in den Händen.

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