Die Nacht der Wölfin
erschöpft aufgab, und sich dann gelassen weigerte, die Sache zu erörtern. Ich hatte Methoden gefunden, ihn dranzukriegen, aber ich war aus der Übung. Nein, heute würde ich mich wehren, indem ich mich weigerte, ihre Spielchen mitzuspielen. Ich würde ins Bett gehen, mich ausschlafen, die Sache morgen früh erledigen und nach Hause fahren. Ganz einfach.
Ich griff nach meiner Tasche und ging hinauf in mein altes Zimmer im ersten Stock, wobei ich geflissentlich ignorierte, dass das Zimmer – obwohl theoretisch niemand gewusst hatte, dass ich kommen würde – gelüftet war, das Fenster halb offen stand und das Bett frisch bezogen und aufgeschlagen war. Ich holte das Handy aus der Reisetasche und rief Philip an. Bei jedem Klingeln verspürte ich einen Stich der Enttäuschung. Wahrscheinlich war er schon im Bett. Als sich der Anrufbeantworter einschaltete, erwog ich aufzulegen, wieder anzurufen und zu hoffen, dass das Klingeln ihn irgendwann wecken würde. Aber zugleich wusste ich, wie egoistisch das war – ich wollte nur mit ihm reden, um mich meiner Verbindung zur Außenwelt zu versichern. Schließlich begnügte ich mich damit, ihm aufs Band zu sprechen, dass ich gut angekommen war und mich melden würde, bevor ich morgen zurückkam.
Am nächsten Morgen weckte mich die Stille im Haus. Ich hatte mich daran gewöhnt, in der Stadt aufzuwachen und den Verkehrslärm zu verfluchen. Als an diesem Morgen nichts dergleichen erfolgte, wurde ich um zehn Uhr schlagartig wach und erwartete halb, dass die Welt untergegangen war. Dann wurde mir klar, dass ich mich in Stonehaven befand. Ich kann nicht behaupten, dass ich über die Entdeckung erleichtert war.
Ich kämpfte mich aus den bestickten Laken und dicken Federkissen hoch und schob die Vorhänge meines Himmelbetts zur Seite. In meinem Zimmer in Stonehaven aufzuwachen war, als wachte man in einer Alptraumszene aus einem Romantikthriller auf. Das Himmelbett war schlimm genug, es hatte etwas von der Prinzessin auf der Erbse, aber das war erst der Anfang. Eine Zedernholztruhe am Fußende enthielt zusätzliche, von Holzduft durchdrungene Daunendecken, für den Fall, dass die beiden, die schon auf dem Bett lagen, nicht ausreichen sollten. Üppige Spitzen umwölkten das Fenster und rieselten auf die Satinkissen der Fensterbank. Die Wände waren blassrosa gestrichen und mit Aquarellen von Blumen und Sonnenuntergängen geschmückt. An der gegenüberliegenden Wand stand eine riesige Frisierkommode aus geschnitztem Eichenholz mit einem bodenlangen goldgerahmten Spiegel und einem silbernen Frisierset. Selbst die Kommode stand voller Porzellanfiguren. Scarlett O'Hara hätte sich wie zu Hause gefühlt.
Die Fensterbank war es gewesen, die Jeremy veranlasst hatte, das Zimmer für mich auszusuchen – und die Kirschbäume, die genau unter dem Fenster geblüht hatten. Das Ganze war ihm angemessen hübsch und feminin vorgekommen. Es war eine Tatsache, dass Jeremy keine Ahnung von Frauen hatte, und zu erwarten, dass ich über die Kirschblüten in romantische Verzückung verfallen würde, war nur der erste von vielen Fehlern gewesen. Zu Jeremys Ehrenrettung muss man sagen, man konnte auch nichts anderes von ihm erwarten. Frauen spielen in der Welt der Werwölfe eine höchst unbedeutende Rolle. Der einzige Grund für einen Werwolf, sich mit der Gedankenwelt einer Frau zu befassen, ist der, dass er die beste Methode finden will, sie ins Bett zu bekommen. Die meisten von ihnen machen sich nicht einmal diese Mühe. Wenn man zehnmal so stark ist wie das rothaarige Prachtweib, das da an der Bar steht – warum Geld verschwenden, indem man ihr einen Drink bezahlt? Das jedenfalls ist der Mutt-Standpunkt. Rudelwerwölfe haben mehr Finesse entwickelt. Wenn ein Werwolf auf Dauer irgendwo bleiben will, kann er sich nicht angewöhnen, jedes Mal, wenn ihm danach ist, eine Frau zu vergewaltigen. Rudelwerwölfe haben sogar Mätressen und Freundinnen, obwohl sie sich nie auf etwas einlassen, das Menschen als wirkliche Zweierbeziehung betrachten würden. Mit Sicherheit heiraten sie nicht. Und sie lassen ihre Söhne auch nicht von Frauen erziehen. Ich habe es schon erwähnt – nur Söhne können das Werwolfgen erben. Dementsprechend werden Töchter ignoriert, aber das Gesetz des Rudels verlangt, dass alle männlichen Nachkommen schon sehr früh ihren Müttern weggenommen und alle Kontakte zu der Mutter abgebrochen werden. Niemand konnte also von Jeremy erwarten, dass er viel über das andere Geschlecht
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