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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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nicht. Er stand einfach da, sah auf mich herunter und wartete.
    »Der Hund hat mich gebissen«, sagte ich.
    »Es war kein Hund, es war Clay. Er … er hat die Gestalt gewechselt.«
    »Die Gestalt gewechselt«, wiederholte ich.
    Ich starrte Jeremy an und begann mich dann von einer Seite auf die andere zu werfen, um mich aufzusetzen. Jeremy packte mich an den Schultern und hielt mich fest. Ich geriet in Panik. Ich kämpfte mit mehr Kraft, als ich zu besitzen geglaubt hatte; ich trat und schlug um mich, und Jeremy hielt mich auf dem Bett fest, als wäre ich ein zweijähriges Kind.
    »Hör auf damit, Elena.« Er sprach den Namen so ungeschickt aus wie ein Wort in einer unbekannten Sprache.
    »Wo ist Clay?«, schrie ich, ohne auf die Schmerzen zu achten, die mir die Kehle versengten. »Wo ist Clay?«
    »Fort. Ich habe ihn weggeschickt, nachdem er dich … gebissen hat.«
    Jeremy packte mich an beiden Armen und hielt sie fest, nagelte mich so gründlich fest, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Er holte tief Atem und begann von vorn.
    »Er ist ein…« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Ich brauche dir nicht zu sagen, was er ist, Elena. Du hast gesehen, wie er die Gestalt gewechselt hat. Du hast gesehen, dass er ein Wolf geworden ist.«
    »Nein!« Ich trat nach ihm, aber meine Beine schlugen in die leere Luft. »Sie sind verrückt. Total verrückt. Ich hab einen Hund gesehen. Lassen Sie mich los! Clay!«
    »Er hat dich gebissen, Elena. Das bedeutet … es bedeutet, dass du jetzt das Gleiche bist. Du wirst das Gleiche wie er. Deshalb geht es dir so schlecht. Du musst mir erlauben, dir zu helfen.«
    Ich schloss die Augen und schrie, bis ich seine Worte nicht mehr hören konnte. Wo war Clay? Warum hatte er mich mit diesem Verrückten allein gelassen? Warum hatte er mich verlassen? Er liebte mich. Ich wusste, dass er mich liebte.
    »Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, Elena. Aber sieh her. Sieh einfach her.«
    Ich drehte den Kopf zur Seite, um ihn nicht ansehen zu müssen. Ich sah nur noch seinen Arm, der meinen auf dem Bett festhielt. Nach einem Augenblick schien sein Unterarm zu schimmern und sich zusammenzuziehen. Ich schüttelte heftig den Kopf und spürte, wie der Schmerz darin hin- und hergeschleudert wurde wie eine glühende Kohle. Mein Blickfeld verschwamm und wurde wieder klar. Jeremys Arm schien sich zu verzerren, das Handgelenk wurde dünner, die Hand ballte sich zu einem Knoten zusammen. Ich wollte die Augen schließen, aber ich konnte nicht. Ich war wie gebannt von dem Anblick. Die schwarzen Haare auf dem Arm wurden dicker. Zusätzliche Haare wuchsen; sie brachen durch die Haut und wurden länger und länger. Der Druck seiner Finger ließ nach. Ich sah nach unten. Es waren keine Finger mehr zu sehen. Eine schwarze Pfote lag auf meinem Arm. Ich schloss die Augen und schrie und schrie, bis die Welt schwarz wurde.
    Ich brauchte über ein Jahr, um wirklich zu verstehen, was aus mir geworden war, dass es kein Alptraum und keine Wahnvorstellung war und dass es niemals vorbeigehen würde, dass es keine Heilung für mich gab. Jeremy erlaubte Clay achtzehn Monate später zurückzukommen, aber es war zwischen uns nicht mehr so wie zuvor. Es konnte nicht wieder so werden. Es gibt Dinge, die man nicht verzeiht.
    ***
    Ich wachte mehrere Stunden später auf und spürte Clays Arme um mich, meinen an ihn gepressten Rücken. Eine langsame Welle des Friedens begann mich wieder in den Schlaf zu wiegen. Dann wurde ich schlagartig völlig wach. Clays Arme um mich. Mein an ihn gepresster Rücken. Zusammen im Gras. Nackt. Oh, Scheiße. Ich wand mich aus seinem Griff, ohne ihn zu wecken, schlich mich von der Lichtung und lief zum Haus zurück. Jeremy saß im ersten Morgenlicht auf der hinteren Veranda und las die New York Times. Als ich ihn sah, blieb ich stehen, aber es war zu spät. Er hatte mich schon entdeckt. Ja, ich war splitternackt, aber das war nicht der Grund dafür, dass ich Jeremy lieber aus dem Weg gegangen wäre. In den Jahren meines Lebens mit dem Rudel hatte ich mein Schamgefühl verloren. Wann immer wir zusammen rannten, endeten wir nackt und oft weit von unseren Kleidern entfernt. Es kann zunächst eine etwas beunruhigende Erfahrung sein, wenn man aus dem nachfolgenden Schlaf aufwacht und sich in einer Grotte inmitten von drei oder vier nackten Kerlen wiederfindet. Beunruhigend, wenn auch durchaus nicht nur unangenehm angesichts der Tatsache, dass die Typen allesamt Werwölfe sind, sich dementsprechend in

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