Die Nacht der Wölfin
die Hand. Ich quiekte, mehr vor Überraschung als vor Schmerz. Der Hund fing sofort an, mir die Hand zu lecken. Jeremy stürzte quer durchs Zimmer auf uns zu. Der Hund duckte sich und jagte aus dem Raum. Jeremy machte Anstalten, ihm zu folgen.
»Lassen Sie ihn doch«, sagte ich, während ich aufstand. »Er hat's nicht böse gemeint. Er hat einfach gespielt.«
Jeremy kam mit langen Schritten zu mir herüber und griff nach meiner Hand, um sich die Bisswunde anzusehen. Zwei Zähne waren durch die Haut gedrungen und hatten winzige Verletzungen hinterlassen, aus denen ein paar Tropfen Blut quollen.
Ein paar Minuten vergingen, während Jeremy meine Hand inspizierte. Dann hörte ich eine Bewegung an der Tür. Ich sah auf in der Erwartung, der Hund sei zurückgekommen. Stattdessen kam Clay herein. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht sehen; Jeremy stand zwischen uns und versperrte mir die Sicht.
»Der Hund hat mich ein bisschen gebissen«, sagte ich. »Nichts Ernstes.«
Jeremy wandte sich an Clay. »Raus«, sagte er; seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstand.
Clay stand wie erstarrt in der Tür.
»Raus!«, schrie Jeremy.
»Seine Schuld ist es nun wirklich nicht«, sagte ich. »Vielleicht hat er den Hund reingelassen, aber –«
Ich brach ab. Meine Hand hatte zu brennen begonnen. Die beiden kleinen Wunden hatten ein entzündetes Rot angenommen. Ich schüttelte die Hand und sah zu Jeremy hinüber.
»Ich sollte das hier wohl lieber desinfizieren«, sagte ich. »Haben Sie Bactine oder irgend so was da?«
Als ich den ersten Schritt in seine Richtung tat, gaben die Beine unter mir nach. Das Letzte, was ich sah, war, wie Jeremy und Clay nach mir griffen. Dann wurde alles ringsum schwarz.
Nachdem Clay mich gebissen hatte, erlangte ich erst zwei Tage später das Bewusstsein wieder, obwohl ich damals glaubte, es seien nur ein paar Stunden vergangen. Ich wachte in einem der Gästezimmer auf, dem Raum, der später mein Zimmer werden sollte. Schon die Augen zu öffnen erforderte eine größere Anstrengung. Die Lider fühlten sich heiß und geschwollen an. Meine Kehle schmerzte, meine Ohren schmerzten, mein Kopf schmerzte. Zum Teufel, sogar meine Zähne schmerzten. Ich blinzelte ein paar Mal. Der Raum kippte und schwankte und wurde dann klarer. Jeremy saß auf einem Stuhl neben meinem Bett. Ich hob den Kopf. Der Schmerz explodierte hinter meinen Ohren. Mein Kopf fiel auf das Kissen zurück, und ich stöhnte. Ich hörte, wie Jeremy aufstand, dann sah ich ihn auf mich heruntersehen.
»Wo ist Clay?«, fragte ich. Es klang eher nach ›woooschaaa‹, als versuchte ich mit dem Mund voller Marshmallows zu sprechen. Ich schluckte und zuckte vor Schmerz zusammen. »Wo ist Clay?«
»Du bist krank«, sagte Jeremy.
»Wirklich? Wär nicht drauf gekommen.« Die Retourkutsche kostete mich so viel Kraft, dass ich die Augen schließen und wieder schlucken musste, bevor ich weitersprechen konnte. »Was ist passiert?«
»Er hat dich gebissen.«
Die Erinnerung kam schlagartig zurück. Jetzt spürte ich das Pochen in meiner Hand. Ich mühte mich, sie zu heben. Die beiden kleinen Einstiche waren zur Größe von Rotkehlcheneiern angeschwollen, und sie waren heiß. Ich sah zwar keine Spur von Eiter oder einer Entzündung, aber etwas stimmte ganz entschieden nicht. Furcht flackerte in mir auf. War der Hund tollwütig? Was waren die Symptome von Tollwut? Was konnte man sich von einem Hundebiss noch alles einfangen? Staupe vielleicht?
»Krankenhaus«, krächzte ich. »Ich sollte ins Krankenhaus.«
»Trink das hier.«
Ein Glas erschien. Es sah aus wie Wasser. Jeremy schob mir die Hand in den Nacken und hob meinen Kopf an, so dass ich hätte trinken können. Ich drehte mich ruckartig weg und schlug ihm dabei das Glas mit dem Kinn aus der Hand, so dass es aufs Bett fiel. Jeremy fluchte und zog die durchweichte Decke fort.
»Wo ist Clay?«
»Du musst aber trinken«, sagte er.
Er nahm eine frische Decke vom Fuß des Bettes, schüttelte sie aus und breitete sie über mich. Ich wand mich unter ihr hervor.
»Wo ist Clay?«
»Er hat dich gebissen.«
»Ich weiß, dass der verdammte Hund mich gebissen hat.« Ich fuhr zurück, als Jeremy mir die Hand auf die Stirn legte. »Antworten Sie mir gefälligst. Wo ist Clay?«
»Er hat dich gebissen. Clay hat dich gebissen.«
Ich hörte auf zu zappeln und blinzelte ein paar Mal. Ich meinte mich verhört zu haben. »Clay hat mich gebissen?«, fragte ich langsam.
Jeremy verbesserte mich
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