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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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in der Vorstadt wirklich niemals möglich sein, aber ich habe es schon gesagt – auch eine Variante würde es tun. Mit Philip konnte ich mir eine sehr zufrieden stellende Variante vorstellen, mit einem Partner, einem Zuhause und netter Verwandtschaft. Das Ziel meiner eigenen Wünsche war in Sichtweite gekommen. Ich brauchte nur noch das Durcheinander mit dem Rudel irgendwie hinter mich zu bringen, nach Toronto zurückzufahren und auf meine Chance zu warten.
    »Nichts ist okay«, wiederholte ich. »Logan ist tot, und sein Mörder läuft irgendwo rum, und ich sitze hier in einem blöden Café mit –« Ich schluckte den Rest hinunter. »Wir sollen hier eigentlich auf Gerüchte achten, weißt du noch? Sei still und hör zu.«
    Ich konzentrierte mich entschlossen wieder auf die Unterhaltungen ringsum. Die Leute meckerten zwar auch weiterhin über ihre Lebensumstände, aber ich ignorierte dieses Thema und horchte auf das, was wir hören wollten. Hier und da fügten einige Gäste der allgemeinen Trübsal eine weitere Note hinzu, indem sie die Ereignisse des Vorabends in dem müden Die-Welt-geht-vor-die-Hunde-Ton kommentierten, den die Leute vermutlich verwendet haben, seit die ersten Frühmenschen mit ansehen mussten, wie ihre Nachbarn auf zwei Beinen zu gehen begannen. Die meisten von ihnen hechelten lediglich den Zeitungsbericht durch, aber ein paar setzten tatsächlich Gerüchte in die Welt, die vor Einbruch der Nacht wahrscheinlich in der ganzen Stadt die Runde machen würden. Eine Frau in der hinteren Ecke sagte, sie habe gehört, dass der Hund gar kein wilder Hund gewesen sei, sondern ein entlaufener Wachhund, der einem Verwandten des Bürgermeisters gehörte; die Polizei sei vom Bürgermeister bestochen oder bedroht worden, damit sie die Geschichte von wilden Hunden in die Welt setzte. Ein paar Leute glaubten sogar, der Hund habe gar nichts damit zu tun gehabt, die drogenvernebelten Partybesucher hätten die beiden Gäste in einer Art Massenhysterie selbst umgebracht, und die Polizisten hätten später einen unschuldigen Hund erschossen. Die Leute können schon höllisch kreativ sein. Eins war jedenfalls sicher, kein Mensch redete von überdimensionalen Wölfen oder verlangte eine Untersuchung der Frage, warum die Bestie sich so benommen hatte, wie sie es getan hatte. Alle Welt ging davon aus, es sei völlig normal für einen Hund, plötzlich durchzudrehen und in einer überfüllten Lagerhalle Leute zu zerreißen. Während ich horchte, hatte Clay so getan, als läse er die Zeitung. So getan, weil er sich nicht im Geringsten für das Zeitgeschehen in Bear Valley oder anderswo in der Welt interessierte. Genau wie ich hatte er auf Gerüchte gehorcht, obwohl er es niemals zugegeben hätte.
    »Können wir jetzt gehen?«, fragte er schließlich.
    Ich nippte an meinem kalten Kaffee. Der Becher war noch zu drei Vierteln voll. Clay hatte von seinem nicht ein einziges Mal getrunken. Und keiner von uns hatte seinen Kuchen auch nur angerührt. Zur Abwechslung war uns das Essen diesmal kein Anliegen.
    »Ich denke schon«, sagte ich mit einem Blick auf die Uhr. »Es ist noch lange nicht dunkel, aber wir brauchen wahrscheinlich eine Weile, bis wir eine Spur finden. Sollen wir auf dem Parkplatz anfangen?«
    Ich brachte es nicht über mich zu sagen, ›dem Parkplatz, wo wir Logan gefunden haben‹, aber Clay wusste, was ich meinte. Er nickte, stand auf und geleitete mich ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus.
    Als wir uns dem Lebensmittelladen näherten, blieb ich stehen, bevor wir um die Ecke bogen – bevor ich die Stelle sah, an der wir Logan gefunden hatten. Mein Herz schlug so schnell, dass ich mich konzentrieren musste, um zu atmen.
    »Ich kann das erledigen«, sagte Clay und legte mir eine Hand auf den Rücken. »Bleib hier. Ich nehme die Spur auf und sehe, in welche Richtung sie führt.«
    Ich wich seiner Hand aus. »Geht nicht. Die Spur war gestern Abend schon schwach. Jetzt wird es noch schlimmer sein. Du brauchst meine Nase.«
    »Ich kann's versuchen.«
    »Nein.«
    Ich bog um die Ecke, zögerte und wäre beinahe stehen geblieben; dann stieß ich mich vorwärts. Als ich die Stelle sah, an der der Explorer geparkt gewesen war, wandte ich hastig den Blick ab, aber es war zu spät. In meinen Gedanken lief bereits die Szene vom Vorabend ab, wie ich losgestürzt war, wie Clay meinen Namen gerufen hatte und hinter mir hergerannt war. Er hatte vor mir gemerkt, was geschehen war. Deshalb hatte er mich aufhalten wollen. Jetzt war

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