Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
Vom Netzwerk:
es mir klar – nicht, dass es in diesem Augenblick auf seine Beweggründe ankam. Es war nur eine weitere bedeutungslose Ablenkung, die durch meine Gedanken lief und mich daran hinderte, an das zu denken, was gestern hier geschehen war.
    Tagsüber sah der Parkplatz aus wie ein völlig anderer Ort. Leute gingen von ihren Autos zum Ladeneingang und wieder zurück. Wie in dem Café waren es Berufstätige, die meisten in Jeans, manche in Anzug oder Kostüm, Tüten mit dem Abendessen oder mit Nachschub an Brot und Milch in der Hand, die sie auf dem Heimweg noch schnell erstanden hatten. Kein Mensch achtete auf uns, als wir quer über den Parkplatz zu dem Zaun am hinteren Ende gingen. Die Stelle, an der wir geparkt hatten, war jetzt leer – sie war zu weit vom Ladeneingang entfernt, um außerhalb der Hochbetriebszeiten genutzt zu werden.
    Ich stand auf der rechten Seite, wo die Beifahrertür des Explorer gewesen war. Ich schloss die Augen und atmete ein. Logans Geruch füllte meine Gedanken. Die Knie gaben unter mir nach. Clay packte mich am Ellenbogen. Ich fing mich und schnupperte wieder, versuchte Logans Geruch auszublenden. Es funktionierte nicht. Der schwache verbliebene Geruch übertönte alle unbekannten Gerüche. Mit geschlossenen Augen konnte ich mir vorstellen, dass er vor mir stand, nahe genug, um ihn zu berühren. Ich öffnete die Augen. Das helle Tageslicht scheuchte das Wunschbild zurück in die Schatten meines Hirns.
    »Ich –«, begann ich. »Ich habe da ein Problem.«
    »Es ist da«, sagte Clay. »Schwach, aber ich rieche irgendwas. Moment – ich sehe mal, ob ich es erwische.«
    Er tat ein paar Schritte nach links, blieb stehen, schüttelte den Kopf; dann kam er zurück und versuchte es in der entgegengesetzten Richtung. Als er die Himmelsrichtungen zum zweiten Mal durchprobiert hatte, wandte er sich wieder an mich.
    »Hab's«, sagte er. »Reingekommen ist er auf der Ostseite, aber gegangen ist er hier.«
    Es gibt kein Element eines Geruchs, das selbst dem besten Fährtensucher verraten könnte, ob jemand gekommen oder gegangen ist. Clay erkannte den Unterschied daran, dass eine der beiden Fährten auch Spuren von Logans Geruch enthielt, obwohl er es nicht aussprach.
    »Komm mal her und versuch's hier«, sagte er.
    Nachdem ich mich einmal von der Stelle entfernt hatte, wurde es besser. Clay stand neben einem Minivan. Ich ging zu ihm hinüber und schnupperte. Ja, da war ein Geruch. Ein unbekannter Werwolf. Die Witterung führte uns quer über den Parkplatz, entfernte sich von dem Lebensmittelladen und lief auf Jacks Jagdbedarf – und Eisenwarenladen zu. Danach führte sie in westlicher Richtung den Gehweg entlang und zurück zur Hauptstraße, auf der wir ihr bis ins Stadtzentrum folgten. Für den Fall, dass sich das nun schnell und mühelos anhört – es war keins von beiden. Um geradewegs von Punkt A zu Punkt B zu gehen, hätten wir eine Viertelstunde gebraucht. Wir brauchten über eine Stunde – wir verloren ständig die Fährte, kehrten um, fanden die Stelle, wo der Mutt um eine Ecke gebogen war, und begannen von vorn. Ein- oder zweimal verlor ich die Spur vollständig. Dass wir sie in menschlicher Gestalt verfolgen mussten, machte die Angelegenheit noch schwieriger, nicht nur weil mein Geruchssinn jetzt weniger ausgeprägt war, sondern auch weil ich dem Mutt nicht gut mit der Nase am Boden nachschnüffeln konnte. Ja, okay, ich hätte es gekonnt, aber derlei wird in der Öffentlichkeit nicht gern gesehen und kann durchaus eine kostenlose Fahrt in die nächste psychiatrische Abteilung nach sich ziehen. Schon der Anblick einer Frau, die mit zuckender Nase an einer Straßenecke steht oder sich in einem engen Kreis um sich selbst dreht, wird mit Befremden aufgenommen. Ich musste meine Bemühungen also unauffällig halten. Selbst wenn ich Clay dazu hätte überreden können, bis nach Einbruch der Dunkelheit zu warten – wir konnten uns nicht in Wölfe verwandeln. Nach allem, was in letzter Zeit in Bear Valley geschehen war, wäre das keine Herausforderung gewesen, sondern Selbstmord.
    Die Innenstadt von Bear Valley schloss um fünf, was den Angestellten erlaubte, zum Abendessen zu Hause zu sein, dabei aber die Tatsache ignorierte, dass der durchschnittliche Berufstätige bis fünf Uhr arbeitet und danach noch einkaufen muss. Dieser Denkfehler mochte für die Anzahl leer stehender Geschäfte verantwortlich sein. Das Phänomen hatte sich im Stadtzentrum ausgebreitet wie ein Tumor; es erwischte ein

Weitere Kostenlose Bücher