Die Nacht des einsamen Träumers.
Schwachsinn machte er da? Warum verhielt er sich genau wie der Killer? Die einzige Möglichkeit war, noch mal über das Fensterbrett zu klettern, an der Haustür zu klingeln und sich auszuweisen. Er drehte sich um und konnte gerade noch einen Fuß heben, als er an den Schultern gepackt wurde. Er wand sich und schlug, mit einer Geistesgegenwart, die ihn selbst erstaunte, mit der Faust nicht dem ins Gesicht, der seine Schultern umklammerte, sondern einem anderen, der neben ihm stand. Derjenige, der ihn festhielt, stieß ihm kräftig mit dem Knie in den Rücken, während ihm der andere, der sich von dem Fausthieb erholt hatte, einen Treffer in den Bauch versetzte. Der Commissario fiel vornüber, seine Arme wurden nach hinten gebogen, und er hörte, völlig verdattert, das vertraute Schnappen der Handschellen.
»Ruf eine gazzella, sag, wir haben ihn«, sagte einer der beiden.
Schweißgebadet vor Scham begriff Montalbano, dass er von den Carabinieri festgenommen worden war.
Nachdem man ihn in die Kaserne gebracht und seine Personalien festgestellt hatte, machte das Gerücht die Runde. Die Hälfte der in Palermo Dienst tuenden Carabinieri eilte herbei, um ihn grinsend und augenzwinkernd wie ein seltenes Tier im Zoo anzugucken. Nach einer Stunde der Pein erschien ein Capitano, ein Hauptmann, der außer sich war vor Wut. »Warum haben Sie sich eingemischt?! Seit einer Woche waren wir an dieser Operation dran, und Sie haben alles vermasselt! Signora Cosentino wusste, dass ihr Mann sie umbringen lassen wollte, sie hat uns die Beweise geliefert, und wir haben sie unter Schutz gestellt. Heute Nacht wäre es endlich so weit gewesen, denn der Mann ist mit seiner Geliebten nach Berlin und hatte damit ein Alibi. Und jetzt werden wir dank Ihnen nichts mehr über diese Geschichte erfahren. Ich werde dem Questore Bericht erstatten.«
Montalbano, der mit gesenktem Kopf dasaß, hob den Blick und fragte:
»Kann ich mal telefonieren?«
Der Capitano zuckte mit den Schultern und zeigte auf das Telefon. Der Commissario wählte die Nummer der Liberty Bar in New York. »Yes?«
Im Hintergrund hörte man Gelächter, Musik, Stimmengewirr, Gläserklirren. Es war eine Bar, Livia hatte Recht gehabt.
»Hier ist Montalbano.«
»Ich hab mir schon langsam Sorgen gemacht«, sagte der andere, derselbe, der in Don Peppes Osteria angerufen hatte.
»Es ist später geworden, weil die Person später gekommen ist. Ich habe sauber gearbeitet, wie du das wolltest. Und wo hole ich jetzt den Rest ab?«
Der andere sagte es ihm. Der Capitano starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Sie haben nach New York telefoniert? Von meinem Büro aus?! Und wie soll ich das rechtfertigen?«
»Ich liefere Ihnen eine gute Ausgangsbasis, Capitano. Ich habe in derselben Bar in New York angerufen, von der aus ich gestern Abend angerufen wurde. Notieren Sie sich die Nummer. Es kann kein Gast der Bar gewesen sein, es muss jemand sein, der dort immer ans Telefon geht. Der Besitzer, der Geschäftsführer, sehen Sie selbst, informieren Sie sich. Sicher organisiert er die Morde. Den Rest des Geldes hat der Besitzer eines Schuhgeschäfts in der Via Sciabica 28. Das wurde mir gerade gesagt. Man muss nur ›Montalbano‹ sagen. Lassen Sie ihn festnehmen, und nehmen Sie ihn in die Mangel.«
Der Capitano erhob sich, reichte ihm die Hand und wünschte fröhliche Weihnachten. Montalbano erwiderte die Wünsche und kehrte ins Hotel zurück. Es war vier Uhr morgens. Er rief Livia an, um ihr die ganze Geschichte zu erzählen.
»Moment mal!«, sagte Livia. »Warum bist du in dieser Osteria ans Telefon gegangen?«
»Weil der doch einen gewissen Montalbano sprechen wollte!«
»Natürlich! Und du, egozentrisch wie du bist, bist sofort drangegangen, als wärst du der einzige Montalbano auf der Welt!«
Da konnte man nur streiten. Sie stritten zwanzig Minuten lang. Zehn waren zum Glück gratis.
Als das interkontinentale Gezänk beendet war, befiel ihn bleierne Müdigkeit. Nackt, unter der Dusche, begriff er, dass es sinnlos war, ins Bett zu gehen. Er konnte bestimmt nicht schlafen. Er war wegen einer offensichtlichen Namensgleichheit in eine Geschichte hineingezogen worden, hatte sich entsetzlich vor den Carabinieri blamiert, und jetzt sollte er seine Finger davon lassen, als wäre nichts gewesen? Das Ergebnis war, dass es fünf Uhr schlug, als er in der Via Sciabica vor der Hausnummer 28 stand. Da war kein Schuhgeschäft: Zu
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