Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
dieser Hausnummer gehörte eine stattliche Eingangstür, die auf Hochglanz poliert und um diese Uhrzeit natürlich geschlossen war, die Tür eines Wohnhauses, daneben die Sprechanlage und die Namen der Bewohner. Links davon war ein Gemüseladen mit einem Schild darüber: »Addamo – Frutta e Verdura«. Rechts war auch ein Geschäft: »Salumeria Di Francesco«. Er dachte, dass er die Hausnummer vielleicht falsch verstanden hatte. Vielleicht hatte es 38 geheißen. Er ging ein paar Meter weiter. Die Nummer 38 war ein Bestattungsinstitut. Da war nichts zu machen, er konnte nur geduldig die ganze Straße entlanggehen und sehen, ob es irgendwo das Ladenschild eines Schuhhändlers gab. In diesem Augenblick kam ein Engel auf einem Fahrrad daher. Passenderweise trug der Engel die Uniform eines Nachtwächters. »Guten Morgen«, sagte Montalbano und hielt ihn auf.
      »Guten Morgen«, sagte der andere und stellte einen Fuß auf den Boden.
      »Ich bin Kriminalkommissar«, sagte Montalbano und zeigte ihm seinen Ausweis.
    »Was kann ich für Sie tun?«

      »Wissen Sie zufällig, ob es in dieser Straße ein Schuhgeschäft gibt?«
    »Nein, da ist keins.«

      Die Antwort war prompt und unmissverständlich. »Sind Sie sicher?«

      »Vollkommen. Ich tue seit mindestens vier Jahren Dienst in dieser Gegend. Das nächste Schuhgeschäft ist vier Querstraßen weiter, in der Via Pirrotta. Nummer 70, glaube ich.«

    »Danke. Fröhliche Weihnachten.«
    »Fröhliche Weihnachten.«

      Warum hatte diese New Yorker Bar dem mutmaßlichen Killer absichtlich, daran zweifelte er nicht, eine falsche oder nicht existierende Adresse gegeben?

      Auf dem Weg zurück ins Hotel sah er eine offene Bar. Er trat ein, der Duft der warmen briosce, die gerade aus dem Ofen kamen, lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Mit Genuss aß er zwei und trank dazu einen dreifachen Espresso. Er verließ die Bar, ging zu einem Kiosk und kaufte eine Zeitung. Langsam und ohne Ziel – die drei Espressi hatten ihm jede Chance, einzuschlafen, genommen – wanderte er vor sich hin und las dabei die vermischten Meldungen, die lockten ihn immer als Erstes. Danach kamen die Todesanzeigen. Wenn Livia sah, dass er so die Zeitung las, brach sie jedes Mal einen Streit vom Zaun. »Ich möchte bloß mal wissen, warum du die Todesanzeigen liest!«
    »Nur so.«
    »Was heißt ›nur so‹?«
      »Es heißt einfach ›nur so‹. Ich weiß nicht, warum ich es mache, ich mache es eben. Schlägt, nur als Beispiel, jemand, der sportbegeistert ist, nicht auch sofort die Sportseite auf?«
      »Ach ja? Und dein Lieblingssport ist es, bei den Toten zu weilen?« Die Nachricht, die ihn dort, auf der Straße, lähmte und zur Salzsäule erstarren ließ, nahm etwa zwanzig Zeilen ein. Die Überschrift lautete: TÖDLICHER ZUSAMMENSTOSS. Und da stand:

      Gestern Abend gegen 20.30 Uhr wurde in der Via Scaffidi der Passant Giovanni Montalbano, 40 Jahre alt, geboren und wohnhaft in Palermo, von einem Auto überfahren. Der Unfallverursacher, Andrea Caruso, Buchhalter im städtischen Liegenschaftsamt, brachte Montalbano selbst ins Krankenhaus San Libertino, wo dieser trotz sofortiger ärztlicher Versorgung starb. Die zahlreichen Zeugen äußerten sich übereinstimmend über den Hergang des tödlichen Unfalls, wonach Montalbano plötzlich aus einer Gasse kam und auf die Straße rannte; Caruso versuchte zu bremsen, doch vergebens. Wie sich herausstellte, wurde Montalbano wegen Eigentumsdelikten und versuchten Mordes gesucht.

      Ein Taxi fuhr vorbei. Montalbano hob den Arm, um es zu stoppen, aber der Wagen fuhr weiter. Wütend rannte der Commissario hinter ihm her. Er merkte gar nicht, dass er brüllte, die wenigen Passanten sahen ihn überrascht und verwirrt an. Endlich hielt das Taxi, Montalbano öffnete die Tür und setzte sich auf den Beifahrersitz.
    »Ich bin nicht im Dienst.«
    »Dann bist du eben jetzt wieder im Dienst.«
      Der Taxifahrer sah ihn böse an, Montalbano erwiderte mit einem noch böseren Blick.
    »Wo wollen Sie hin?«

      »Zuerst in die Via Scaffidi und dann in die Via Lojacono, zur Trattoria eines gewissen Peppe. Kennst du sie?« Der Taxifahrer war wütend und gab keine Antwort. Er beschränkte sich darauf, den Gang einzulegen und loszufahren. Und wie ein Irrer auf die wenigen anderen Autos zu fluchen. Wie Montalbano vorausgesehen hatte, lag die Via Scaffidi etwa hundert Meter von Peppes Osteria entfernt. Wo er schon mal im Taxi saß, sagte er dem Fahrer, er solle

Weitere Kostenlose Bücher