Die Nacht des einsamen Träumers.
seinem Schreibtisch, soll ich ihn holen?«
»Nein. Was steht drin?«
»Dass Cascio, als er überfahren wurde, so viel Alkohol intus hatte, dass sich damit eine ganze Armee hätte betrinken können. Er hatte sich voll gekotzt. Er ist bestimmt gegangen, als hätte er starken Gegenwind gehabt, und muss in ein Auto gelaufen sein, das nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte.«
Am Nachmittag hörte es auf zu regnen, die Wolken verzogen sich, es wurde wieder schön, und mit dem schönen Wetter verging Montalbanos melancholische Stimmung. Abends bekam er einen Bärenhunger, und er beschloss, in der Trattoria San Calogero zu essen. Er lief schnell in das Lokal, und die erste Person, die er sah, war ausgerechnet Ciccio Monaco, der allein an einem Tisch saß. Er wirkte verloren, der Kellner hatte ihm gerade ein Gemüsepüree gebracht, doch für Gerichte dieser Art war der Koch der Trattoria entschieden unbegabt. Der ehemalige Gemeindesekretär sah ihn und grüßte, mit der Serviette ein Niesen unterdrückend. Montalbano erwiderte den Gruß. Dann fügte er, aus einem ihm selbst unerklärlichen Impuls heraus, hinzu:
»Tut mir Leid wegen Ihrem Freund Cascio.«
»Danke«, sagte Ciccio Monaco. Und dann machte er schüchtern einen Vorschlag, begleitet von etwas, das man, wollte man großzügig sein, Lächeln nennen konnte: »Wollen Sie sich zu mir setzen?«
Der Commissario zögerte, er redete ungern beim Essen, aber das Mitleid war stärker. Natürlich kamen sie auf den Unfall zu sprechen, und der ehemalige Gemeindesekretär führ sich plötzlich mit der Hand über die Augen, als wollte er seine Tränen zurückhalten.
»Wissen Sie, was ich denken muss, Commissario? Wie lange mein Freund wohl zum Sterben gebraucht hat. Wenn dieser Schuft, der ihn überfahren hat, angehalten hätte...«
»Es ist nicht gesagt, dass er weitergefahren ist. Vielleicht hat er auch angehalten, ist ausgestiegen, hat gesehen, dass Cascio tot war, und ist weggefahren. Trank Ihr Freund oft?«
Der andere sah überrascht drein.
»Girolamo? Nein, er hat seit drei Jahren nicht mehr getrunken. Er konnte nicht. Nach einer Operation war ihm das geblieben, wenn er nur einen Schluck Whisky trank, bitte entschuldigen Sie, musste er sich übergeben.«
»Warum erwähnen Sie den Whisky?«
»Weil er den auch vorher getrunken hat, Wein mochte er nicht.«
»Wissen Sie, was Cascio an dem Abend, als er überfahren wurde, gemacht hatte?«
»Natürlich weiß ich das. Nach dem Essen kam er zu mir, wir plauderten eine Weile, dann sahen wir uns die ›MaurizioCostanzo-Show‹ an, die spät zu Ende ist. Als er ging, war es vielleicht eins. Bis zu ihm nach Hause war es etwa eine Viertelstunde zu Fuß.«
»War er normal?«
»O Gott, Commissario, was Sie mir für Fragen stellen! Natürlich war er normal. Er war sehr fit für seine siebzig Jahre.«
Wenn Montalbano ein Gelage mit frischem Fisch veranstaltet hatte, genoss er gewöhnlich noch lange den Geschmack im Mund, sodass er nicht einmal einen Espresso hinterher trinken wollte. Diesmal trank er einen, er wollte einen Gedanken festhalten, der ihm nach dem Gespräch mit Ciccio Monaco gekommen war. Anstatt nach Hause zu fahren, nach Marinella, hielt er vor dem Kommissariat. Catarella hatte Wache.
»Nisciuno, keiner, überhaupt gar keiner ist da, Dottore!«
»Reg dich nicht auf, Catarè. Ich will auch niemand sehen.« Er ging in Mimi Augellos Zimmer, auf dem Schreibtisch lag die Akte, die er suchte. Er erfuhr etwas mehr, aber nicht allzu viel. Dass sich der Unfall um zwei Uhr zwei ereignet hatte (die Taschenuhr des Toten war um diese Uhrzeit stehen geblieben), dass der Mann durch die Wucht des Aufpralls sehr wahrscheinlich sofort tot war (das Tatfahrzeug musste mit hoher Geschwindigkeit gefahren sein), dass die Spurensicherung die Kleidung des Toten zur Untersuchung mitgenommen ha tte.
Er rief noch vom Büro aus bei seinem Vice zu Hause an. Große Hoffnungen machte er sich nicht. »Ciao, Salvo, du hast Glück, ich wollte gerade gehen.«
»Zu irgendeiner Nutte?«
»Ach hör auf, was willst du?«
»Wer hat die Voruntersuchung zum Tod von Girolamo Cascio gemacht, der vor drei Tagen überfahren wurde?«
»Ich. Warum?«
»Ich will nur eines wissen: Hast du in der Nähe der Leiche Flaschen gefunden?«
»Was für Flaschen?«
»Mimi, weißt du nicht, was eine Flasche ist? Das ist ein Behälter aus Glas oder Plastik, den man mit Flüssigkeiten füllt. Mit so
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