Die Nacht des einsamen Träumers.
eingeschaltet? Wenn er uns den Fund nicht gemeldet hätte, wer weiß, wie lange die Leiche dann noch im Bunker geblieben wäre.«
»Keine Ahnung«, sagte Montalbano. »Weiß der Himmel. Er hat wohl geglaubt, sie sei an Erschöpfung gestorben, und das wird ihn beruhigt haben, sie konnte ja nicht mehr reden. Und dann wollte er den gesetzestreuen Bürger rauskehren. Er hat wohl gedacht, er kann uns eine falsche Fährte legen.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Du lässt dir einen Durchsuchungsbefehl ausstellen und gehst zu Scillicato.«
»Was sollen wir suchen?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben weder Marias Büstenhalter noch ihre rote Bluse gefunden. Aber die sind bestimmt längst verbrannt. Du musst selbst sehen. Mir ist vor allem daran gelegen, dass ihr ihn unter Druck setzt.«
»In Ordnung.«
»Ach ja, noch was. Nimm Catarella mit. Und wenn Scillicato festzunehmen ist, lass Catarella ihm die Handschellen anlegen. Er hat die Genugtuung verdient.«
Stundenlang durchsuchten sie das kleine Haus, ohne etwas zu finden. Sie hatten die Hoffnung schon aufgegeben, als Catarella in der Ecke einer fensterlosen Kammer, in der es stank, dass es einem den Magen umdrehte, im Dreck etwas glitzern sah. Er bückte sich und hob es auf: Es war ein billiges Ringlein. Das erste Geschenk, das ein kleines Mädchen viele, viele Jahre zuvor bekommen hatte.
Kümmelblättchen
Es regnete so stark, dass Commissario Montalbano nach den drei Schritten, die ihn von seinem vor der Haustür geparkten Wagen trennten, von Kopf bis Fuß durchnässt war. Aber er hasste Regenschirme nun mal, da konnte er nichts machen. Der Motor musste feucht geworden sein, er sprang nicht sofort an. Montalbano fluchte; schon als er die Augen aufschlug, hatte er gewusst, dass dies ein unguter Tag werden würde. Dann setzte sich das Auto in Bewegung, aber der Scheibenwischer auf der Beifahrerseite war kaputt, dicke Tropfen zerklatschten ungeniert auf der Scheibe und schränkten die Sicht noch mehr ein. Obendrein musste er wenige Meter vor dem Kommissariat hinter einem Leichenwagen herfahren, der ihm auf den ersten Blick leer zu sein schien. Als er genauer hinsah, merkte er, dass es sich um einen richtigen Trauerzug handelte: Hinter dem Wagen ging einer her, der sich mit einem Regenschirm zu schützen versuchte. Der Mann triefte vor Nässe, und der Commissario wünschte ihm, dass ihm die Lungenentzündung erspart blieb, die ihn beinah unvermeidlich innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden erwartete. Als Montalbano sein Büro betrat, war sein Zorn über das schlechte Wetter vorbei, jetzt beschlich ihn Melancholie: Bei einem Leichentransport mit nur einem Menschen dahinter und dazu diesem sintflutartigen Regen ging einem nicht gerade das Herz auf. Fazio, der seinen Chef kannte wie sich selbst, war besorgt. Nur einmal hatte er ihn in einer ernsten Angelegenheit so niedergeschlagen und wortkarg erlebt. »Was ist los mit Ihnen?«
»Was soll denn mit mir los sein?«
Sie sprachen über die laufenden Ermittlungen, die Mimi Augello, den Vicecommissario, gegenwärtig beschäftigten. Doch Montalbano wirkte abwesend und war einsilbig. Plötzlich sagte er, ohne jeden Zusammenhang mit dem Problem, über das sie gerade sprachen: »Als ich herkam, bin ich einem Trauerzug begegnet.« Fazio sah ihn irritiert an.
»Hinter dem Wagen war nur ein Mann«, fuhr Montalbano fort.
»Ach ja«, sagte Fazio, der immer Bescheid wusste über Vigàta und seine Bewohner. »Das muss der arme Girolamo Cascio sein.«
»Wer heißt Cascio, der Tote oder der Lebendige?«
»Der Tote, Dottore. Der dahinter war sicher Ciccio Monaco, der ehemalige Gemeindesekretär. Der arme Cascio war auch bei der Stadt angestellt.«
Montalbano vergegenwärtigte sich die Szene, die er undeutlich durch die Windschutzscheibe gesehen hatte, und stellte das Bild scharf ein: Ja, der Mann hinter dem Wagen war tatsächlich Signor Monaco, den er flüchtig kannte.
»Der einzige Freund, den der arme Cascio in Vigàta hatte«, fuhr Fazio fort, »war der ehemalige Gemeindesekretär. Abgesehen von Monaco war Cascio allein wie ein Hund.«
»Woran ist er gestorben?«
»Er wurde überfahren, und der am Steuer saß, beging Fahrerflucht. Es war später Abend, es war dunkel, und kein Mensch hat was gesehen. Einer, der frühmorgens zur Arbeit ging, hat ihn gefunden, er lag tot auf dem Boden. Dottor Pasquano hat ihn obduziert und Dottor Augello den Bericht geschickt. Er liegt auf
Weitere Kostenlose Bücher