Die Nacht des einsamen Träumers.
inszenieren, die einen Mann ins Krankenhaus (aber es hätte auch der Friedhof sein können) und ihren Ehemann ins Gefängnis gebracht hat? Eine Rache wohlgemerkt, die zuallererst auf ihre eigenen Kosten geht, weil sich nämlich die ganze Stadt das Maul über sie zerreißt. Ist es möglich, dass sich diese Frau so was ausdenkt?«
»Ja, es ist möglich«, sagte Mimi Augello schweren Herzens.
Montalbano weigert sich
Diese Nacht Ende April war eine Nacht, wie sie einst Giacomo Leopardi als wohltuend empfunden hatte: lieblich und klar... kein Windhauch regt sich. Commissario Montalbano fuhr sehr langsam und genoss die angene hme Kühle auf dem Heimweg nach Marinella. Er hüllte sich in seine Müdigkeit wie in ein schmutziges, verschwitztes Gewand, von dem man weiß, dass man es bald, nach der Dusche, gegen ein frisches, duftendes auswechseln kann. Seit dem Morgen, noch vor acht Uhr, war er im Büro gewesen, und jetzt zeigte seine Uhr Punkt Mitternacht. Den ganzen Tag hatte er mit dem Versuch zugebracht, einen alten Dreckskerl zu einem Geständnis zu bringen, der ein neunjähriges Mädchen missbraucht und dann versucht hatte, ihm mit einem Stein den Kopf einzuschlagen. Das Mädchen lag im Krankenhaus in Montelusa im Koma und war deshalb nicht in der Lage, den Vergewaltiger zu identifizieren. Nachdem er ihn mehrere Stunden lang vernommen hatte, beschlichen den Commissario leise Zweifel, ob der Mann, den sie festgenommen hatten, wirklich der Schuldige war. Aber der hatte sich in einen undurchdringlichen Panzer der Verweigerung zurückgezogen. Montalbano hatte es mit List und Tücke, Bluffs und hinterhältigen Fragen versucht: Da kam nichts, immer nur dieselbe Leier:
»Ich war's nicht, ihr habt keine Beweise.« Die Beweise würde es nach der DNA-Analyse des Spermas natürlich geben. Stroh und Zeit machen die Vogelbeeren reif, wie die Bauern sagten, nur würde das zu lange dauern.
Um fünf Uhr nachmittags, als Montalbano sein komplettes Bullenrepertoire ausgeschöpft hatte, fühlte er sich allmählich wie eine wandelnde Leiche.
Er ließ sich von Fazio vertreten, ging ins Bad, zog sich nackt
aus, wusch sich von Kopf bis Fuß und zog sich wieder an. Er ging ins Zimmer zurück, um mit der Vernehmung fortzufahren, als er den Alten sagen hörte: »Ich far'f nich, ihr habf keine Beweife.« Warum redete er so komisch? Montalbano sah den Festgenommenen an: Aus seinem Mund rann Blut, ein Auge war geschwollen und zu. »Was ist passiert?«
»Nichts, Dottore«, sagte Fazio mit engelsgleicher Miene, nur der Heiligenschein fehlte. »Er muss ohnmächtig geworden sein. Er ist mit dem Kopf auf die Tischkante geknallt. Vielleicht hat er sich einen Zahn ausgebrochen, ist nicht schlimm.«
Der Alte entgegnete nichts, und der Commissario bearbeitete ihn von neuem mit den gleichen Fragen. Um zehn Uhr abends, als er noch nicht mal zu einem panino gekommen war, erschien, frisch wie eine Rose, Mimi Augello im Kommissariat. Montalbano ließ sich auf der Stelle von ihm vertreten und rannte in die Trattoria San Calogero. Sein Hunger war so lang hingehalten worden, dass der Commissario bei jedem Schritt glaubte, er müsse in die Knie gehen wie ein erschöpftes Pferd. Er bestellte einen antipasto di mare, und das Wasser lief ihm schon im Mund zusammen, als Gallo hereinstürmte.
»Dottore, kommen Sie, der Alte will reden. Er hat plötzlich alles zugegeben, er sagt, dass er dem Mädchen den Kopf eingeschlagen hat, nachdem er es vergewaltigt hat.«
»Wie ist das möglich?!«
»Keine Ahnung, Dottore, Dottor Augello hat ihn dazu gebracht.«
Montalbano war sauer, und gewiss nicht wegen des antipasto di mare, den er nun nicht mehr essen konnte. Wie bitte?! Er war den ganzen Tag mit diesem alten Schwein zugange und redete sich den Mund fusselig, und Mimi Augello hatte es im Handumdrehen geschafft? Bevor er zu dem Alten ging, nahm er im Kommissariat seinen Vice beiseite. »Wie hast du das gemacht?«
»Glaub mir, Salvo, es war Zufall. Du weißt doch, dass ich mich nass rasiere. Mit dem Rasierapparat kann ich das einfach nicht. Vielleicht liegt es an meiner Haut, was weiß ich.«
»Mimi, ich weiß es auch nicht, und deine Haut ist mir scheißegal. Ich will wissen, wie du ihn zu dem Geständnis gebracht hast.«
»Ich hatte mir heute erst ein ne ues Rasiermesser gekauft. Ich hatte es in der Tasche. Gut, ich hatte angefangen, den Alten zu vernehmen, als er sagte, er müsste pinkeln. Ich bin mit ins
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