Die Nacht des einsamen Träumers.
verliebt, außerdem ist er ein anständiger Kerl. Bei so was liege ich immer richtig: Ich glaube nicht, dass Manifò etwas mit Eleonora gehabt hat.«
»Kennen sie sich?«
»Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich zu kennen: Die Familien Manifò und Briguccio wohnen im selben Haus, auf derselben Etage.«
»Was macht Manifò beruflich?«
»Er unterrichtet Italienisch am Gymnasium. Er ist Wissenschaftler und auch im Ausland bekannt. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Briguccio wurde vom Staatsanwalt vernommen. Was hat er ihm erzählt?«
»Er sagt, dass Manifò es bei Eleonora versucht hat. Dass Eleonora nichts davon wissen wollte und er sich daraufhin gerächt hat, indem er über sie hergezogen ist.«
»Hat ihm seine Frau das erzählt?«
»Nein, Briguccio behauptet, er hätte es nicht von Eleonora erfahren. Er wäre von selbst drauf gekommen. Er sagt auch, er könnte seine Behauptung beweisen.«
»Nein, Commissario, tut mir sehr Leid, aber Sie können nicht mit dem Patienten sprechen«, sagte, unerbittlich, Professor Di Stefano im Krankenhaus Montelusa. »Warum denn nicht?«
»Weil wir ihn noch nicht operieren konnten. Signor Manifò hat außer der Verletzung auch einen schweren Schock erlitten. Er hat hohes Fieber und fantasiert.«
»Könnte ich ihn wenigstens sehen?«
»Sie könnten. Aber wozu? Um zu hören, was er im Delirium sagt?«
»Na ja, manchmal sagt man im Delirium Dinge, die...«
»Commissario, der Lehrer wiederholt immer nur dasselbe, wie eine Litanei.«
»Dürfte ich erfahren, was er sagt?«
»Natürlich. Er faselt irgendwelche Zahlen.«
»Zahlen?«
»Ja: 39.18.19. Nehmen Sie sie zum Lottospielen, wenn Sie dran glauben.«
»Im ersten Moment klingt das nach einer Telefonnummer«, sagte Augello.
»Ja, Mimi, aber da er die Vorwahl nicht sagt, sind wir aufgeschmissen. Ich habe alle Telefonnummern in unserer Provinz überprüfen lassen. Ohne Erfolg. Ich muss mit Signora Manifò sprechen.«
»Aber warum regst du dich so auf? Es ist doch alles klar, finde ich.«
»O nein! Mimi, du kannst nicht den Stein werfen und dann die Hand verstecken!«
»Was hab denn ich damit zu tun?«
»Du hast allerdings was damit zu tun! Du hast gesagt, du seist überzeugt, dass Manifò nicht Eleonoras Liebhaber war! Und wenn du Recht hast, warum hat Briguccio dann auf ihn geschossen?«
»Ich habe Recht. Aber Signora Manifò ist nicht in Vigàta. Sie ist Amerikanerin, sie ist gerade bei ihren Eltern in Denver zu Besuch. Sie wurde erst vor ein paar Stunden informiert. Übermorgen kommt sie nach Vigàta zurück. Warum willst du denn mit Signora Manifò sprechen?«
»Ich will mir den Terminkalender ihres Mannes ansehen. Vielleicht steht die Telefonnummer drin, die uns interessiert, und dann wissen wir, zu wem sie gehört.«
»Stimmt. Aber wo die Signora nicht da ist...«
»... tun wir so, als wäre sie da«, ergänzte Montalbano.
»Madunnuzza santa, wir sind vielleicht erschrocken, wie wir den Knall von dem Revolver gehört haben!«, sagte die Pförtnerin, während sie die Wohnung von Professore Manifò aufschloss. »Ich habe einen Schlüssel, weil ich hier putze.«
»Ist Signora Briguccio da?«, fragte Augello und zeigte auf die Wohnung nebenan.
» Nonsi . Die Signora ist zu ihrem Vater gezogen, nach Montelusa.«
»Danke, Sie können gehen«, sagte Montalbano.
Die Wohnung war groß, der größte Raum war das Arbeitszimmer, praktisch eine riesige Bibliothek, mit einem Tisch in der Mitte, der von Papieren übersät war. Während Mimi auf der Suche nach dem Terminkalender im Schreibtisch kramte, sah Montalbano sich die Bücher an. In einer Abteilung standen, wohl geordnet, Bücher über italienische Literaturgeschichte, Enzyklopädien, kritische Essays. In einem Fach waren Literaturzeitschriften, die Aufsätze von Manifò enthielten: Arbeiten vor allem über Dante und seine Beziehung zur arabischen Kultur. Doch über eine ganze Wand erstreckten sich Regale, die Bibelstudien enthielten: Professore Manifò interessierte dieses Thema besonders. Seine diesbezüglichen Veröffentlichungen nahmen sogar ein ganzes Regalfach ein. Es gab auch einen schmalen Band, der einen Augenblick lang Montalbanos Interesse weckte. Er trug den Titel Exegese der Genesis. Er wollte ihn gerade in die Hand nehmen und hineinschauen, als Mimìs Stimme ihn ablenkte: »Fehlanzeige.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass ich hier drei
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