Die Nacht des einsamen Träumers.
erwarten.
Er kehrte zum Auto zurück, öffnete das Handschuhfach, nahm die Pistole heraus, lud durch. Und dabei blieb es. Er legte die Pistole in das Handschuhfach zurück, langte in die Tasche und zog seine Brieftasche hervor: Ja, da war eine Telefonkarte. Auf dem Weg hierher hatte er etwa hundert Meter vor dem Haus eine Telefonzelle gesehen. Er ließ das Auto, wo es stand, steckte sich eine Zigarette an und ging zu Fuß hin. Wie durch ein Wunder funktionierte das Telefon. Er schob die Karte ein und wählte.
Der siebzigjährige Mann, der in der römischen Nacht an der Schreibmaschine saß, sprang auf und ging besorgt ans Telefon. Wer konnte das so spät sein? » Pronto ! Wer ist da?«
»Hier ist Montalbano. Was machst du?«
»Du weißt doch, was ich mache. Ich schreibe die Erzählung, deren Protagonist du bist. Ich bin an der Stelle, an der du im Auto sitzt und durchgeladen hast. Von wo rufst du an?«
»Aus einer Telefonzelle.«
»Und wie bist du da hingekommen?«
»Sage ich dir nicht.«
»Warum wolltest du mich sprechen?«
»Weil mir diese Erzählung nicht gefällt. Ich will nicht darin vorkommen, das ist nichts für mich. Und die Geschichte mit den gebratenen Augen und der Schmorwade ist absolut lächerlich, echter Schwachsinn, entschuldige, wenn ich das sage.«
»Salvo, ich bin ganz deiner Meinung.«
»Warum schreibst du sie dann?«
»Mein Sohn, versuch mich zu verstehen. Manche Leute schreiben, ich sei ein Schönfärber, ich würde nette, harmlose Geschichten erzählen; andere dagegen sagen, dass mir der Erfolg, den ich dank dir habe, nicht gut getan hat, dass ich mich wiederhole und nur mein Autorenhonorar im Auge habe... Sie behaupten, ich sei ein leicht lesbarer Schriftsteller, auch wenn sie dann Mühe haben, zu verstehen, wie ich schreibe. Ich versuche mich anzupassen, Salvo. Ein bisschen Blut auf dem Papier schadet niemandem. Was ist, spielst du jetzt den Saubermann? Und dann frage ich dich als echten Gourmet: Hast du jemals gebratene Menschenaugen, etwa auf gerösteten Zwiebeln, probiert?«
»Sehr witzig. Hör zu, ich sage dir jetzt etwas, und ich sage es nur einmal. Für mich, Salvo Montalbano, ist so eine Geschichte nichts. Meinetwegen kannst du weiter solche Geschichten schreiben, aber dann musst du einen neuen Protagonisten erfinden. Ist das klar?«
»Vollkommen. Aber wie soll diese Geschichte jetzt aufhören?«
»So«, sagte der Commissario. Und hängte ein.
Liebe und Brüderlichkeit
Enea Silvio Piccolomini wusste nicht, dass es seinen Namensvetter, der sich, als er Papst wurde, Pius II. nannte, überhaupt gegeben hatte. Er hieß so, weil es in den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts im Einwohnermeldeamt einen Angestellten gegeben hatte, der ein Spaßvogel war: Findelkinder bedachte er mit Namen wie Jacopo Ortis, Aleardo Aleardi und ähnlichen Scherzen. So wurde auch ein armes Neugeborenes im Jahre 1894 sein Opfer und hieß eben wie jener Papst, der vor allem als Gelehrter in die Geschichte einging. Der Enea Silvio aus Vigàta hingegen blieb bis zu seinem Tod Analphabet. Er machte den Ersten Weltkrieg mit und den Zweiten auch. Er heiratete, sobald er eine Stelle als Hafenarbeiter gefunden hatte, und hatte drei Söhne, denen er vernünftige Namen gab, Giuseppe, Gerlando und Luigi. Die beiden Älteren wanderten nach Amerika aus und hatten kein Glück, Luigi dagegen blieb in Vigàta und verdiente sich sein Brot als Maurer. Er hatte zwei Söhne und eine Tochter. Der Älteste bekam natürlich den Namen des Großvaters, eben Enea Silvio. Mit zwanzig Jahren ging Enea Silvio auf Arbeitssuche nach Turin. Mit fünfundvierzig passierte ihm der Unfall: Eine Stichflamme ließ ihn auf der Stelle erblinden, eine glühend heiße Stahlklinge trennte ihm das linke Bein ab. Zwei Monate nach dem Unfall hätte er eine gleichaltrige Witwe heiraten sollen, aber das, was ihm passiert war, ließ ihn, selbst wenn ihn die Witwe in diesem Zustand noch gewollt hätte, davon Abstand nehmen. Er kehrte nach Vigàta zurück, wo es von seiner Familie niemanden mehr gab: Sein Bruder lebte in Pordenone, wohin er geheiratet hatte; seine Schwester Gnazia, an der Enea Silvio sehr hing, war mit ihrem Mann und den beiden Kindern auf die Insel Lampedusa gezogen. Enea Silvio, verschlossen, eigenbrötlerisch und störrisch, hatte sich ein kleines Haus außerhalb von Vigàta gemietet. Er lebte von seiner Rente. Nicht lange nach seiner Rückkehr wurde der Wohltätigkeitsverein »Liebe und
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