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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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nicht«, log Montalbano. Das fiel ihm leicht, weil er am Telefon war. Von Angesicht zu Angesicht wäre es ihm schwer gefallen: Er konnte Leute, die er schätzte, nicht anlügen.
      »Nun, Piccolomini hatte ein Schlafmittel genommen. Eine normale Dosis. Er ist an Vergiftung gestorben. Sind Sie sicher, dass es ein Unfall war?«
    »Zu neunzig Prozent.«

    Nicht mal am Telefon schaffte er es, hundertprozentig zu lügen.
    »Na ja...«, meinte Pasquano. Und legte auf.
      Als hätten sie sich abgesprochen, rief fünf Minuten später Jacomuzzi, der Chef der Spurensicherung, an.

      »Wir haben nichts Auffälliges gefunden. Der arme Kerl muss wirklich vergessen haben, das Gas abzudrehen.«

    »Fingerabdrücke?«
      »Alle von Piccolomini. Außer einem, den habe ich abgenommen.«

    »Wo war er?«
      »Auf dem Lichtschalter neben der Tür. Gut sichtbar, weil der Lichtschalter ganz staubig war. Und weißt du was? Dabei war gar keine Birne in der Deckenlampe im Esszimmer, der einzigen im ganzen Haus.«

      Eine reflexartige Handbewegung des Mörders im Dunkeln, als er nachts hereinkam. Oder als er hinausging, nachdem er den Mord begangen hatte. Der zweite Fehler nach dem mit dem Hund.
      Und da es anscheinend vorbestimmt war, dass an diesem Vormittag eins zum anderen kommen sollte, klopfte Fazio an die Tür, fragte, ob er hereinkommen dürfe, trat ein, setzte sich vor den Schreibtisch und zog einen eng beschriebenen Zettel aus der Tasche. »Ich bin bereit, Dottore.«
    »Erzähl.«

    Fazio fing an zu lesen.
      »Piccolomini Enea Silvio, Sohn des verstorbenen Piccolomini Luigi und der verstorbenen Catanzaro Antonietta, geboren in Vigàta am 28. April des Jahres...« Der Commissario schlug mit der Hand auf den Tisch, dass es krachte.

      »Leck mich doch am Arsch mit deinem Einwohnermeldeamtskomplex! Ich hab dir schon hundertmal gesagt, dass mich dieser Scheiß nicht interessiert!«
    »Schon gut, schon gut«, sagte Fazio reserviert und steckte den
    Zettel wieder ein. Doch er sprach nicht weiter. »Und?«
    »Commissario, fragen Sie mich. Und ich sage, was ich weiß.«
      »Komm, wir gehen einen Kaffee trinken.« Als sie den Kaffee getrunken und Frieden geschlossen hatten, erfuhr der Commissario, dass Piccolomini in der Stadt keine Freunde hatte, nur Bekannte. Seine Rente ließ er sich bei der Banca dell'Isola gutschreiben. Er hatte sechs Millionen dreihunderttausend Lire auf die hohe Kante gelegt. Er rauchte nicht, er trank nicht, er suchte nicht die drei alteingesessenen Huren Vigàtas auf, war weder homosexuell noch pädophil. Einfach nur ein armer Kerl. Man tötet arme Leute nicht, dachte der Commissario, einen Titel von Simenon zitierend.
      »Seit vier Jahren«, fuhr Fazio fort, »ob Sommer oder Winter, nahm er jeden Freitagabend das Postschiff, das Lamp edusa anläuft. Am Montag fuhr er wieder zurück.«

    »Besuchte er seine Schwester?«
      »Ja. Seine Schwester Gnazia ist mit einem gewissen Silvestro Impallomèni verheiratet, Maurer. Gnazia war zwölf Jahre jünger als Piccolomini. Er hing sehr an ihren Kindern, dem zehnjährigen Giacomo und der achtjährigen Marietta.«

    »Ist das alles?«
    »Das ist alles.«
      Montalbano sah Fazio enttäuscht an. Der breitete die Arme aus.
      »Ich kann ja nicht erfinden, dass er ein Gangster war, damit Sie zufrieden sind.«
      »Buch mir noch für heute Abend eine Kabine auf dem Postschiff. Besorg mir die Adresse der Schwester.« Fazio schien bestürzt.
      »Meinen Sie das im Ernst? Wenn Sie wollen, kann ich hinfahren.«
    »Nein.«
      Das Postschiff legte um Mitternacht ab. Es war überfüllt, vor allem mit großen Gruppen von Jugendlichen, die, mit Schlafsäcken ausgerüstet, auf die Insel fuhren, um das letzte, das schönste Bad im Meer zu genießen. Montalbano lehnte ein paar Stunden lang an der Reling und stärkte sich an der salzigen Luft. Dann zwang ihn der Wind auf dem offenen Meer, in die Kabine zu gehen. Er hatte La corda pazza von Sciascia dabei, das er oft las, vielleicht um von sich selbst ein bisschen mehr zu begreifen. Und plötzlich, beim Lesen, wusste er, was ihn tags zuvor beunruhigt hatte. Es war eine Frage von Ingegnere Di Stefano gewesen, die dieser mitten in einem Satz gestellt hatte: »Es war doch ein Unfall, oder?« Eine ganz normale Frage, aber was nicht stimmte, war der Ton, in dem der Ingegnere sie gestellt hatte. Da klang Angst mit, Bangigkeit, die sofort verschwand, als Montalbano bestätigt hatte, dass es sich um einen Unfall

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