Die Nacht des einsamen Träumers.
doch, letztes Jahr, aber es ist nicht der Rede wert...«
»Sagen Sie es mir trotzdem.«
»Nun, es war auf der Strecke Vigàta-Lampedusa. Ich sah ihn unten an der Gangway stehen und ging hinunter, er erkannte mich an der Stimme, ich nahm den Hund an die Leine, und er begann, die Gangway hinaufzugehen. Auf halber Höhe fiel sein Stock plötzlich ins Wasser, zwisehen Bordwand und Kaimauer. Er fing wie ein Irrer an zu schreien. ›U vastuni!‹ ( Mein Stock! Mein Stock!) Er war verzweifelt, man hätte meinen können, ein Kind wäre ihm ins Wasser gefallen. Ich sah hinunter, und da schwamm der Stock. Schließlich schaffte ich es, Piccolomini an Bord zu bringen, er war völlig aus dem Häuschen. Die anderen Passagiere begriffen gar nichts und waren besorgt. Ich ließ mir einen Bootshaken geben und angelte seinen Stock wieder heraus. Als er ihn in den Händen hatte, hätte er ihn fast geküsst wie einen verlorenen und wieder gefundenen Sohn. Fünfzigtausend Lire hat er mir gegeben!«
»Warum war er ihm wohl so wichtig? Es war ein gewöhnlicher Holzstock, oder?«
»Nein, er war nicht aus Holz, Commissario. Der Stock und die Krücke waren beide aus Metall.«
»Wenn er aus Metall gewesen wäre, wäre er untergegangen.«
»Nicht wenn er leer war, hohl. Und der war innen sicher leer. Woher dieses Interesse an dem armen Kerl?«
»Wegen der Versicherung.«
Doch der andere, man sah es am deutlichen Glitzern seiner Augen, glaubte ihm nicht.
» Un àngilu, ein Engel war er! Ein Engel!«, weinte Signora Gnazia, in Schwarz gekleidet, und wiegte sich mit dem Oberkörper vor und zurück. Montalbano, der sich als Panzeca von der Versicherung vorgestellt hatte, spürte, dass dieser Schmerz aufrichtig war.
»Wo sind die Kinder?«, fragte er, wie um sie auf andere Gedanken zu bringen. »Die Kinder? Wenn am Samstag keine Schule ist, sind sie den ganzen Tag unterwegs. Sie gehen mit meinem Mann zum Angeln, er hat ein Ruderboot.«
»Sagen Sie, Signora, wenn Ihr seliger Bruder Sie besuchte, was tat er da, wie verbrachte er den Tag?«
»Vom Schiff kam er gleich hierher. Wenn meine Kinder da waren, aber das kam selten vor, war er mit ihnen zusammen. Er hatte sie so lieb, die Kleinen. Er hat immer mit uns zusammen gegessen.«
»Verstand er sich gut mit Ihrem Mann?«
»Sie mochten sich nicht. Und mein Mann, das hab ich ja schon gesagt, geht am Samstag zum Angeln, und am Sonntag schläft er. Er arbeitet hart von Montag bis Freitag. Er ist müde. Und nicht ganz gesund.«
»Wenn Ihr seliger Bruder Sie besuchte, ging er also nie aus dem Haus.«
»Das hab ich nicht gesagt, Signor Panzeca. Am Samstagnachmittag oder am Sonntagmorgen kam Toto Recca mit seinem Transporter und fuhr ihn spazieren.«
»War er sein einziger Freund? Hatte er noch andere Freunde?«
»Nonsi. Der einzige. Er hat mir erzählt, dass sie sich in Vigàta kennen gelernt haben.«
»Können Sie mir Reccas Adresse geben?«
»Er ist umgekommen, mischinu, der Ärmste.«
»Er ist umgekommen? Wann? Wie?«
»Vor einer Woche. Er ist mit seinem Transporter abgestürzt, bei der Isola dei Conigli. Wissen Sie, wo das ist?« Im Süden Lampedusas, das wusste er. Eine einsame, wundervolle Gegend, eine ideale Gegend, um ermordet zu werden, ebenfalls bei einem fingierten Unfall.
Es war ihm klar, dass Gnazia Impallomèni alles gesagt hatte, was sie wusste. Er stand auf, um zu gehen, auch die Frau stand auf, legte ihm aber eine Hand auf den Arm.
»Sie sind doch von der Versicherung, nicht wahr, Signor Panzeca?«
»Ja.«
»Verstehen Sie was von Geld?«
»Inwiefern?«
»Wegen dem Geld, das Nenè auf der Bank hatte.«
»Na ja, ich weiß nicht genau, wie viel bei der Bank in Vigàta liegt...«
» Mi scusasse, entschuldigen Sie, ich meine nicht bei der Bank in Vigàta, sondern bei der hier, auf Lampedusa.« Montalbano setzte sich wieder hin, Signora Gnazia ebenfalls.
»Hatte er ein Konto bei der Bank?«
»Nein, kein Konto. Ein Sparbuch. Als er das erste Mal hinging, auf die Bank, habe ich ihn begleitet, er wusste den Weg nicht. Danach ist er immer allein hingegangen, Nenè konnte gehen, als ob er sehen könnte.«
»Haben Sie das Sparbuch hier?«
» Sissi . Ich zeig's Ihnen. Ich habe es versteckt, weil Nenè gesagt hat, dass mein Mann ja nichts davon wissen darf.« Und so erfuhr der Commissario, dass Enea Silvio Piccolomini, Rentner, ein Sparbuch über hundertzwölf Millionen hatte.
»Was
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