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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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gedrückt, damit der Wind ihn nicht forttrug, während der schwere Mantel an seinem Körper klebte und sich um seine Beine schlang. Er ging nirgendwohin, das sah man an seinem Schritt, der trotz des Gezerres fest und gleichmäßig blieb. Der Mann lief an Montalbanos Haus vorbei, machte nach etwa fünfzig Metern kehrt und ging zurück, Richtung Vigàta. Er sah ihn noch mehrmals, am frühen Morgen, auch ohne Mantel, weil die Jahreszeit gewechselt hatte, immer in Schwarz, immer allein. Einmal, als das Wetter so schön geworden war, dass der Commissario im kalten, noch nicht von der Sonne gewärmten Wasser hatte hinausschwimmen können, und er umdrehte, um ans Ufer zurückzukehren, hatte er gesehen, dass der Mann am Strand stehen geblieben war und zu ihm hersah. Wenn Montalbano in dieser Richtung weiterschwamm, würde er, wenn er aus dem Wasser kam, unvermeidlich direkt vor ihm stehen. Das wäre ihm peinlich gewesen. Also lenkte er seine Schwimmzüge unmerklich so, dass er etwa zehn Meter entfernt von dem Mann, der ihn fest ansah, aus dem Wasser steigen konnte. Als der Mann begriff, dass die Begegnung von Angesicht zu Angesicht nicht stattfinden würde, wandte er sich um und nahm seinen gewohnten Spaziergang wieder auf. Das ging mehrere Monate lang so.
      Eines Morgens kam der Mann nicht vorbei, und Montalbano machte sich Sorgen. Dann hatte er eine Idee. Er trat von der Veranda auf den Strand hinunter und sah deutlich die Fußspuren des Mannes im feuchten Sand. Anscheinend war er ein bisschen früher als sonst spazieren gegangen, während der Commissario noch im Bett oder unter der Dusche war. Eines Nachts war es windig, aber gegen Morgengrauen legte sich der Wind, als ob er müde wäre, weil er die Nacht durchgemacht hatte. Ein schöner, milder, sonniger, wenn auch noch nicht sommerlicher Morgen kündigte sich an. Der nächtliche Wind hatte den Strand geputzt, er hatte die kleinen Unebenheiten ausgeglichen, der Sand war glatt und glänzte. Die Fußspuren des Mannes hoben sich ab wie gezeichnet, aber der Commissario wunderte sich über ihren Verlauf. Der Mann war erst am Ufer entlanggegangen und hatte sich dann entschlossen seinem Haus zugewandt, direkt vor der Veranda Halt gemacht und dann seine Schr itte wieder Richtung Ufer gelenkt. Was hatte er im Sinn? Lange sah sich der Commissario dieses »V« an, das die Fußspuren gezeichnet hatten, als könnte er durch diese sorgfältige Betrachtung darauf schließen, was im Kopf des Mannes vorging, auf seine Gedanken, die ihn dazu gebracht hatten, unvermutet von seinem Weg abzuweichen.

      Zurück im Büro, rief er Fazio zu sich. »Kennst du einen schwarz gekleideten Mann, der jeden Morgen an meinem Haus vorbei am Strand spazieren geht?«

    »Wieso? Hat er Sie belästigt?«
    »Fazio, er hat mich nicht belästigt. Und glaubst du, ich könnte nicht allein damit fertig werden, wenn er mich belästigt hätte? Ich habe nur gefragt, ob du ihn kennst.«
      » Nonsi, Commissario. Ich wusste nicht mal, dass ein schwarz gekleideter Mann am Strand spazieren geht. Soll ich mich informieren?«
    »Schon gut.«

      Doch er musste immer wieder an die Geschichte denken. Als er nachts nach Hause kam, war er zu dem Schluss gekommen, dass sich hinter diesem »V« in Wirklichkeit ein Fragezeichen verbarg, eine Frage, die der Mann in Schwarz ihm zu stellen sich entschlossen hatte, wozu ihm aber im letzten Augenblick der Mut gefehlt hatte. Deshalb stellte Montalbano den Wecker auf fünf Uhr: Er wollte nicht riskieren, den Mann zu verpassen, wenn dieser aus irgendeinem Grund früher als sonst spazieren ging. Der Wecker klingelte, er stand schnell auf, machte Kaffee und setzte sich auf die Veranda. Bis neun Uhr wartete er, Zeit genug, um einen Krimi von Lucarelli zu lesen und sechs Tassen Kaffee zu trinken. Keine Spur von dem Mann.

    »Fazio!«
    »Ja bitte, Dottore?«

      »Erinnerst du dich, dass ich dir gestern von einem schwarz gekleideten Mann erzählt habe, der jeden Morgen...«
    »Natürlich erinnere ich mich.«

    »Heute Morgen ist er nicht vorbeigekommen.«
    Fazio sah ihn verwirrt an.

    »Ist das schlimm?«
    »Schlimm ist es nicht. Aber ich will wissen, wer das ist.«
    »Ich werd's versuchen«, seufzte Fazio.

    Manchmal war der Commissario wirklich merkwürdig.
    Warum war er so fixiert auf einen, der friedlich am Strand spazieren ging? Was hatte der Signor Commissario nur gegen ihn?

      Am Nachmittag klopfte Fazio, fragte, ob er hereinkommen dürfe, betrat Montalbanos Zimmer,

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