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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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setzte sich, holte ein paar eng von Hand beschriebene Zettel aus der Jackentasche und räusperte sich mit einem leichten Hüsteln. »Wird das ein Vortrag?«, fragte Montalbano.
      » Nonsi, Dottore. Sie wollten doch Bescheid wissen über den Mann, der morgens vor Ihrem Haus spazieren geht.«
      »Ich warne dich, bevor du anfängst. Wenn dein Einwohnermeldeamtskomplex mit dir durchgeht und du Details über diesen Mann erzählst, die mir scheißegal sind, stehe ich von diesem Stuhl auf und gehe einen Kaffee trinken.«

      »Dann machen wir es so«, sagte Fazio, faltete die Zettel zusammen und steckte sie wieder ein. »Ich gehe auch einen Kaffee trinken.«
      Schweigend und verärgert gingen beide hinaus. Sie gingen in die Bar, und jeder zahlte seinen Kaffee selbst. Immer noch schweigend kehrten sie ins Büro zurück und setzten sich genauso hin wie vorher, bloß holte Fazio die Zettel nicht hervor. Montalbano begriff, dass er anfangen musste, Fazio war imstande und blieb bis zum Abend stumm und beleidigt.
    »Wie heißt dieser Mann?«

    »Leonardo Attard.«
      Also wie die Cassar, die Hamel, die Camilleri, die Buhagiar ursprünglich aus Malta.
    »Was macht er?«
      »Er war giudice, Richter. Jetzt ist er pensioniert. Er war ein wichtiger Richter, Vorsitzender eines Schwurgerichts.«
    »Und was macht er hier?«

    »Keine Ahnung. Er ist in Vigàta geboren. Er hat hier gelebt, bis er acht war. Dann wurde sein Vater, der Hafenkapitän war, versetzt. Er ist im Norden aufgewachsen, dort hat er studiert und seine Karriere gemacht. Als er hierher kam, vor acht Monaten, kannte ihn niemand.«

      »Hatte er ein Haus in Vigàta? Was weiß ich, einen alten Familienbesitz?«
      » Nonsi . Er hat eine Wohnung gekauft. Es ist eine große Wohnung, fünf geräumige Zimmer, aber er lebt allein darin. Eine Haushälterin versorgt ihn.«

    »Hat er nie geheiratet?«
      »Doch. Und er hat einen Sohn. Aber er ist seit drei Jahren verwitwet.«
    »Hat er mittlerweile Freunde in der Stadt?«
      »Ach was. Kein Mensch kennt ihn! Er geht nur frühmorgens aus dem Haus, macht seinen Spaziergang, und dann sieht man ihn nicht mehr. Alles, was er braucht, von der Zeitung bis zum Essen, kauft ihm die Haushälterin, sie heißt mit Vornamen Prudenza und mit Nachnamen... Darf ich auf meinen Zettel schauen?«

    »Nein.«
      »Na gut. Ich habe mit dieser Haushälterin geredet. Und ich sage Ihnen gleich, dass der Richter abgereist ist.«
    »Weißt du, wo er hin ist?«
      »Klar. Nach Bozen. Da lebt sein Sohn. Verheiratet und Vater zweier Söhne. Der Richter verbringt den Sommer bei seinem Sohn.«

    »Und wann kommt er zurück?«
    »Anfang September.«
    »Weißt du sonst noch was?«

    »Sissi. Drei Tage nachdem er in dieses Haus in Vigàta...«
    »Wo ist es?«

    »Das Haus? Genau da, wo Vigàta aufhört und Marinella
    anfängt. Praktisch fünfhundert Meter von Ihrem Haus entfernt.«
    »Gut, weiter.«
    »Also, nach drei Tagen kam ein Laster.«

    »Mit den Möbeln.«
      »Von wegen Möbel! Wissen Sie, woraus seine Möbel bestehen? Bett, Nachtkästchen, Schrank im Schlafzimmer. Kühlschrank in der Küche, wo er auch isst. Er hat keinen Fernseher. Das ist alles.«

    »Wozu dann der Laster?«
    »Er hat die Unterlagen gebracht.«

    »Welche Unterlagen?«
      »Laut Haushälterin sind es die kopierten Unterlagen aller Verfahren, die der Richter geleitet hat.«
      » Madonna santa! Bei jedem Verfa hren werden doch mindestens zehntausend Seiten geschrieben!«

      »Eben. Die Haushälterin hat gesagt, dass es in diesem Haus keine Stelle gibt, an der sich nicht bis unter die Decke Akten, Sammelmappen und Ordner stapeln. Sie sagt, abgesehen von der Küche ist es ihre Hauptbeschäftigung, die Unterlagen abzustauben, die dauernd voller Staub sind.«

    »Und was macht er mit diesen Unterlagen?«
      »Er studiert sie. Ach ja, zu den Möbeln gehören auch ein großer Tisch und ein Sessel.«

    »Er studiert sie?«
    » Sissi , Dottore. Tag und Nacht.«
    »Wozu denn?«
      »Das fragen Sie mich? Fragen Sie doch ihn, wenn er im September zurückkommt!«

    Richter Leonardo Attard tauchte eines Morgens Anfang September wieder auf, es war der Morgen eines Tages, der träge, nein, nicht träge, der todmüde zu werden versprach. Der Commissario sah ihn vorbeigehen, immer noch schwarz gekleidet, wie ein carcarazzo, ein Rabe. Und von einem Raben hatte er in gewisser Weise auch die Eleganz, die Würde. Einen Augenblick war er versucht, ihm

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