Die Nacht des einsamen Träumers.
mit einem mehrmals darumgewickelten langen Zwirn, und ein großes Kuvert auf den Schreibtisch. »Das hat Prudenza heute Morgen gebracht. Am Tag bevor das Haus brannte, hatte der Richter ihr die Sachen gegeben, sie sollte sie Ihnen aushändigen.«
Der Commissario öffnete das Kuvert. Darin befanden sich ein beschriebenes Blatt Papier und ein verschlossenes, kleineres Kuvert.
»Es hat lange gedauert, aber schließlich habe ich gefunden, was ich schon immer vermutet und befürchtet hatte. Ich schicke Ihnen alle Akten eines Verfahrens von vor fünfzehn Jahren, bei dem das Gericht unter meinem Vorsitz einen Mann zu dreißig Jahren verurteilte, der sich bis zuletzt für unschuldig erklärte. Ich glaubte nicht an seine Unschuld. Jetzt ist mir, nach sorgfältiger Prüfung, klar geworden, dass ich an diese Unschuld nicht glauben wollte. Warum nicht? Wenn Sie diese Unterlagen lesen und zum selben Schluss kommen wie ich, nämlich dass ich mehr oder weniger bewusst unrecht gehandelt habe, dann, aber nur dann, öffnen Sie das beiliegende Kuvert. Darin werden Sie die Geschichte einer qualvollen Zeit meines Privatlebens finden. Vielleicht erklärt diese Zeit mein Verhalten vor fünfzehn Jahren. Erklärt, nicht aber rechtfertigt. Ich füge hinzu, dass der Verurteilte nach zwölf Jahren Haft im Gefängnis starb. Danke.«
Der Mond schien. Mit einer Schaufel, die er sich von Fazio
geliehen hatte, hob er zehn Schritte vor der Veranda ein Loch im Sand aus. Dahinein legte er den Packen und die beiden Briefe. Er holte aus dem Kofferraum seines Autos einen kleinen Benzinkanister, ging auf den Strand zurück, schüttete ein Viertel des Benzins auf das Papier und zündete es an. Als das Feuer erlosch, stocherte er in dem Papier, schüttete ein weiteres Viertel des Benzins darüber und zündete es wieder an. Er wiederholte die Prozedur noch zweimal, bis er sicher war, dass alles zu Asche geworden war. Dann schaufelte er das Loch wieder zu. Als er fertig war, spitzten schon die ersten Sonnenstrahlen heraus.
Eine tüchtige Hausfrau
»Commissario! Welche Freude, Sie zu sehen!«, rief Clementina Vasile Cozzo und hob die Arme, um Montalbano an sich zu drücken und wie immer einen liebevollen Kuss auf die Wangen zu bekommen.
»Wo soll ich das hintun?«, fragte der Commissario und zeigte ihr das Päckchen mit zehn ofenfrischen cannoli. »Geben Sie es mir. Kommen Sie, ich mache Sie erst mal mit meiner Freundin und ehemaligen Schülerin bekannt, von der ich Ihnen am Telefon erzählt habe.« Flink bewegte sie sich mit ihrem Rollstuhl vorwärts, an den sie seit Jahren gefesselt war, und fuhr ins Wohnzimmer.
»Commissario Montalbano. Und das ist Simona Minescu.«
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte die Frau und drückte ihm die Hand.
Montalbano war überrascht. Wer weiß, warum er sie sich anders vorgestellt hatte. Simona Minescu war hoch gewachsen, dunkelhaarig und schlank und hatte große, kluge schwarze Augen. Aber sie wirkte, man merkte es an ihrer Art, zu sprechen und sich zu bewegen, wie eine tüchtige Hausfrau, was gar nicht zu ihrer auffallenden Erscheinung passte. Bei Tisch sprachen die beiden Frauen kein Wort, Signora Clementina musste ihre Freundin darüber belehrt haben, dass Montalbano, während er aß, nach Möglichkeit nicht sprach und am liebsten auch niemanden sprechen hörte. Signora Clementinas Hausmädchen hatte, wie immer, ausgezeichnet gekocht, obwohl sie den Commissario nicht besonders mochte.
»Den Espresso nehmen wir im Wohnzimmer«, sagte die Signora.
Noch war mit keinem Wort der Grund erwähnt worden,
warum Signora Clementina die beiden miteinander hatte bekannt machen wollen, und Montalbano kam sich allmählich etwas merkwürdig vor.
»Erzähl ihm die ganze Geschichte«, sagte Signora Clementina, nachdem das Hausmädchen die Tassen wieder in die Küche getragen hatte.
»Hat der Commissario denn Zeit?«, fragte ihre Freundin und sah Montalbano in die Augen. Dem dieser Blick nicht missfiel.
»Ich habe Zeit, so viel Sie wollen.«
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagte Simona Minescu zögernd.
»Dann fange ich an«, sagte Signora Clementina kurz entschlossen. »Haben Sie von dem Mord an Antonio Minescu gehört, der in Fela wohnte?«
»Nein«, sagte Montalbano. »Ihr Mann?«
»Mein Mann ist Gott sei Dank wohlauf. Nein, es handelt sich um meinen Vater.«
»Wurde er in Fela umgebracht? Signor Clementina sagte, Sie leben in Fela.«
»Das
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