Die Nacht des einsamen Träumers.
stimmt, aber mein Vater wurde in Rom umgebracht.«
»Dann wohnte er also nicht in Fela?«
»Doch, aber er war nach Rom gereist.«
»Verzeihen Sie die Frage. Sind Sie Sizilianerin?«
»Ja. Warum?«
»Ach, ich meine nur, bei diesem Nachnamen...«
»Papa war Rumäne. Später bekam er die italienische Staatsbürgerschaft. Er hat hier geheiratet, in Vigàta, und ist dann nach Fela gezogen. Wo ich geboren bin.«
»Simona, solltest du die Geschichte nicht lieber aus deiner Sicht erzählen?«, schaltete Signora Clementina sich weise ein.
»Ich will es versuchen. Also, Commissario, Sie müssen
wissen, dass mein Vater praktizierender Katholik war. Ein bisschen bigott, wie ich finde, mein seliger Papa. Jeden zweiten Tag ging er auf den Friedhof, um Mamma zu besuchen, die vor zehn Jahren gestorben ist. Aber jeden Tag ging er in die Kirche, der Pfarrer hat ihn sogar mit der Buchhaltung betraut.«
»Was machte Ihr Vater beruflich?«
»Er war Buchhalter. Er hatte sein Diplom 1948 gemacht, vier Jahre nachdem er nach Sizilien gekommen war. 1950 bekam er von einem Holzhändler in Fela eine Stelle angeboten. Er nahm an und blieb dort, bis er in Rente ging.«
»Lebte er allein?«
»Ja und nein. Als Mamma starb, hat mein Mann ihm eine kleine Wohnung besorgt, direkt neben uns. Er aß mit uns. Er hing sehr an unseren beiden Kindern, dem fünfzehnjährigen Antonio, der nach ihm benannt ist, und dem zehnjährigen Mario. Er liebte sie abgöttisch, er verwöhnte sie. Wir haben sogar gestritten, weil er die tolle Idee hatte, Antonio ein Mofa zu schenken. Er hatte eisern seine Rente gespart.«
»Warum ist er denn nach Rom gereist?«
»Wissen Sie, mein Vater hatte einen Traum: den Papst zu sehen. Er hatte sich geschworen, dass er sich die Gelegenheit des Heiligen Jahres nicht entgehen lassen würde. Doch dann hatte er letztes Jahr einen leichten Infarkt. Es sei gar nicht schlimm, sagte der Arzt, er müsse sich nur schonen. Aber er war felsenfest überzeugt, dass er das Jahr 2000 nicht erleben würde. Armer Papa, er hat sich nicht getäuscht, aber es hat sich anders zugetragen, als er sich vorgestellt hatte.«
»Wie alt war er?«
»Dreiundsiebzig. Er ist 1925 geboren. Mein Vater war zutiefst deprimiert, und so schlug Don Cusumano, der Pfarrer, ihm vor, mit einer Gruppe von Pfarrern aus der Provinz Montelusa, die vom Papst empfangen werden sollte, nach Rom zu reisen. Er nahm an und reiste glücklich ab.«
»Mit dem Zug?«
»Nein. Mit dem Bus. Er rief mich gleich an, als er angekommen war. Es ging ihm sehr gut. Er sagte mir den Namen des Hotels, in dem er zusammen mit den anderen untergebracht war, und gab mir die Telefonnummer. Er erzählte auch, dass er sich nachmittags zusammen mit der Gruppe Rom ansehen wolle und dass sie am nächsten Morge n um elf Uhr vom Papst empfangen würden. Er versprach, mich nach der Audienz anzurufen. Doch diesen Anruf habe ich nie bekommen.«
Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten. Dicke Tränen rannen ihr über das Gesicht.
»Entschuldigen Sie.«
Signora Clementina fuhr an die Tür, rief nach dem Hausmädchen und ließ ein Glas Wasser bringen. Montalbano wusste nicht, wo er hinschauen sollte.
»Gegen eins rief ich, da ich nichts von ihm gehört hatte, natürlich im Hotel an. Ich wurde mit Monsignor Diliberto, dem Reiseleiter, verbunden. Er war sehr besorgt und redete nicht lange herum. Er erzählte, mein Vater habe abends zuvor das Hotel verlassen, ohne jemandem Bescheid zu sagen, und sei nicht zurückgekommen. Er sagte, er habe die Polizei benachrichtigt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich war verzweifelt. Um vier Uhr nachmittags rief Monsignor Diliberto mich an. Er wisse nicht, sagte er, ob das, was er mir mitzuteilen habe, ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sei: Jedenfalls sei mein Vater in kein Krankenhaus und zu keinem Wohlfahrtsverein gebracht worden.«
»Litt Ihr Vater manchmal an Gedächtnisschwächen, auch geringfügigen?«
»Ach was! Ein eisernes Gedächtnis! Um fünf kam mein Mann aus Palermo zurück. Ich hatte ihm übers Handy Bescheid gesagt. Er trifft immer schnelle Entscheidungen. Abends um halb neun flog er nach Rom. Mein Mann musste gerade gelandet sein, als Monsignor Diliberto wieder anrief. Er sagte, auf eine noch unangenehmere Art als vorher, mein Vater sei tot gefunden worden. Mehr wollte er nicht erklären. Schließlich konnte ich mit meinem Mann sprechen und erzählte ihm die schlimme Nachricht. Am
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