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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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eine Atac-Fahrkarte, unbenutzt. Atac sind die Autobusse in Rom«, erklärte sie im Ton einer Grundschullehrerin.

    »Ich weiß«, sagte Montalbano etwas pikiert.
    »Mein Vater hat eine Telefonnummer darauf geschrieben. Er
    hat sie selbst geschrieben, da habe ich keinen Zweifel, die Zahlen sind so, wie er sie schrieb. 3 61 24 72. Und sehen Sie, da steht, mit etwas Abstand, noch eine Zahl, 7. Als hätte mein Vater die Nummer nicht richtig verstanden. Dabei hat er sie richtig verstanden.«

    »Wie meinen Sie das?«
      »Ich habe 3 61 24 72 mit der Vorwahl von Rom gewählt, und es hat sich sofort jemand gemeldet. Es ist ein Hotel. Und soll ich Ihnen etwas sagen?«
      »Wenn Sie meinen«, sagte Montalbano süßsauer. Die Signora verstand die Ironie nicht oder wollte sie nicht verstehen.
      »Das Hotel ist ganz nah bei der Stelle, wo mein Vater gefunden wurde.«

      Der Commissario horchte auf. Die Sache begann interessant zu werden.

    »Wann ist die Geschichte passiert?«
    »Am Abend oder in der Nacht des zwölften Oktober.«
      »Gut. In der Questura liegen die Listen von allen Leuten, die...«
      Simona Minescu hob eine schlanke Hand, der Commissario verstummte.
      »Mein Mann hat, was Sie nicht wissen können, weil es Ihnen wohl niemand gesagt hat, ein großes Reisebüro. Und er hat viele Freunde.«
      »Das bezweifle ich nicht, Signora. Aber jemand, der ins Hotel geht, muss nicht unbedingt über ein Reisebüro gebucht haben.«
    »Natürlich. Aber ich hatte an etwas Bestimmtes gedacht.«
    »Würden Sie mir das etwas genauer erklären?«

    »Sofort, Commissario. Die 7, die Papa geschrieben hat, ist keine Nebenstelle des Hotels. Ich habe mich erkundigt, es gibt keine. Demnach hat mein Vater diese Telefonnummer nicht von jemandem bekommen: Er muss sie gehört haben und hat sie notiert, wobei er sich bei der letzten Zahl jedoch nicht sicher war. Und wo kann er diese Nummer gehört haben? Nur in der Bar, als er die Gruppe verlassen hatte. Dort muss er etwas gehört oder gesehen haben, was ihn durcheinander gebracht hat, wie mir die beiden Pfarrer berichteten.«
      »Haben Sie überprüft, welche Telefongespräche Ihr Vater vom Hotel aus geführt hat?«

      »Ja. Von den Zimmern des Hotels Imperia aus, wo er wohnte, kann man nur über die Telefonvermittlung hinaustelefonieren. Da hat nur das Gespräch mit mir stattgefunden. Doch vor dem Abendessen hat er sicher noch jemanden angerufen.«
    »Woher wissen Sie das so genau?«

      »Patre Giacolone, einer von der Gruppe, hat es mir gesagt. In der Halle des Hotels Imperia gibt es zwei Münztelefone. Patre Giacolone schwört hoch und heilig, dass er ihn an einem dieser Telefone gesehen hat.«
      »Und da vermuteten Sie, dass Ihr Vater in diesem Hotel angerufen hat. Apropos, wie heißt es?«
    »Sant'Isidoro.«

      »Und jemanden sprechen und sich mit diesem Jemand verabreden wollte.«
      »Genau. Ich habe über diesen Jemand nachgedacht. Mein Vater war sehr gesellig, sehr offen, er erzählte allen, was er getan und gesagt hat. Warum hat er den Pfarrern aus der Gruppe verschwiegen, was er in der Bar gesehen oder gehört hatte? Weil es etwas war, was ihn durcheinander gebracht hatte.«
      »Was wissen Sie über Ihren Vater?«, fragte Montalbano plötzlich. Und fügte hinzu: »Ich meine etwas, was er erlebt haben könnte, als er noch in Rumänien war. Wissen Sie etwas?«

    Simona Minescu sah ihn bewundernd an. »Sie sind so gut, wie man mir gesagt hatte, Commissario.«
      »Baten Sie Ihren Mann, festzustellen, ob am zwölften Oktober eine rumänische Reisegruppe im Sant'Isidoro abgestiegen war?«

    »Genau, Commissario, und die Antwort war positiv.«
    »Lassen Sie uns auf meine Frage zurückkommen.«

      »Wie schon erwähnt, floh mein Vater 1944 aus Rumänien, da war er neunzehn Jahre alt, und kam über Jugoslawien, die Adria, Apulien, Kalabrien und die Straße von Messina nach Vigàta. Den Grund dafür hat er mir nie gesagt. Er, der immer so offen war, machte dicht, sobald man von seinem Leben in Rumänien sprach. Mir sagte er, seine Familie sei vernichtet worden.«
    »Von wem?«
      »Von den Leuten des Marschalls Antonescu, des Staatsführers aufseiten der Nazis. Mein Vater entzog sich der Verhaftung. Er lebte in seinem Geburtsort Deva, der Hauptstadt des Bezirks Hunedoara, einem Städtchen von knapp sechzehntausend Einwohnern. Alle kannten sich, es war schwierig, sich zu verstecken. Doch Papa gelang es. Dann wurde Antonescu 1944 abgesetzt, und

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